Essen. Trotz der langen Entstehungszeit von drei Jahren wirkt das neue Album der Popsängerin seltsam hingewürfelt. Richtige Hits sind nicht dabei.
Das Ende der Welt mag nah sein, doch Pink fürchtet es nicht. Und diese beruhigende Grundgelassenheit ermöglicht der seit Anfang des Jahrtausends grandios erfolgreichen und beliebten Popsängerin, die jetzt ihr neues Album „Trustfall“ veröffentlicht, ihre elf Jahre alten Tochter. „Willow kann überall, wo sie ist, ein Feuer anzünden“, versichert Pink. „So lange sie in der Nähe ist, mache ich mir um unser Überleben keine Sorgen.“
Pink lebt mit ihrer Familie auf einer Farm in Kalifornien
Aber auch Pink selbst, geboren vor gut 43 Jahren als Alecia Moore in Pennsylvania, ist weit davon entfernt, in praktischen Dingen untalentiert zu sein. Sie lebt mit ihrer Familie – Willow, dem sechsjährigen Sohn Jameson und Gatte Carey Hart, einem ehemaliger Motocross-Rennfahrer, mit dem sie seit 22 Jahren liiert und seit 16 verheiratet ist – auf einer Farm in Kalifornien, nördlich von Santa Barbara. „Der Ozean und die Wälder ringsherum tun meiner Seele unglaublich gut“, so Pink.
Sie zogen von Malibu hierher, als die Tochter in den Kindergarten kam, sagt die Sängerin. Sie und ihr Mann hätten den Kindern ein Leben im goldenen Reichen-Käfig ersparen wollen. „Hier leben sie viel freier, können sich austoben, und niemand guckt komisch, wenn sie von oben bis unten dreckig sind.“
Probleme während der Corona-Pandemie
Die Moores leben sehr naturnah. „Ich bin die Tomatenmeisterin der Familie“, erzählte uns Pink beim Gespräch. „Und erst vor kurzem habe ich einen Kapernbusch gepflanzt. Wir bauen jetzt unsere eigenen Kapern an, ist das nicht toll?“ Auch ein Weingut gehört zum Anwesen, und logisch, bei der Ernte würden alle kräftig mit anpacken.
Auch interessant
In den vergangenen drei Jahren freilich fiel selbst Pink schließlich das Dach auf den Kopf. Eine Pandemie ist besser zu ertragen, wenn man Geld hat und auf einem Landgut im Grünen lebt, aber es ist eben doch eine Pandemie. Jameson sei schwer krank geworden, Pink selbst habe mehr als fünfzehn Kilo zugelegt und zu viel getrunken, auch sei die Innigkeit mit ihrem Mann traditionell nicht frei von Friktionen. Man ging sich also irgendwann gehörig auf den Senkel.
2022, als die Arbeit an „Trustfall“ schon in vollem Gange war, habe sich Pink – zwei Operationen an der Hüfte und an den Bandscheiben hatte sie auch noch zu erdulden – daher für zwei Wochen ausgeklinkt, um „mir selbst ein Geschenk zu machen“ und sich in einem Gesundheits-Luxus-Hotel im südspanischen Alicante körperlich und geistig wieder auf Vorderfrau bringen zu lassen „und endlich mal wieder ganz alleine in einem Bett zu schlafen.“
Der Coronaspeck ist nun wieder runter, ließ Pink jüngst vermelden, sie sei so fit wie nie. Sie trainiert seit Monaten hart für ihre bevorstehende „Summer Carnival“-Tour, die im Juni 2023 startet – bis zu drei Mal am Tag je ein bis zwei Stunden. „Workout, Cardio, Peloton, Cross-Fit“, sie rattert die Liste fröhlich runter. „Ich habe den Anspruch, bei jeder neuen Tour die vorherige noch zu übertreffen, was die Akrobatik angeht.“
Die „Summer Carnival“-Tour beginnt im Juni 2023
Pink ist ehemalige Leistungsturnerin, sie fliegt mitunter kopfüber hängend durchs Stadion, macht Salti, Schrauben und Spagate, während sie sich gleichzeitig sie Seele aus dem Leib singt, Pink-Shows sind immer ein Ereignis. „Ich bin stolz auf meine Arbeit, die ich versuche, so perfekt wie möglich zu machen. Es gibt nicht viele Frauen, schon gar nicht viele Mütter, die zweimal hintereinander das Wembley Stadium ausverkaufen.“ Und so eine Europa-Tour, wenn möglich mit der ganzen Familie, sei sowieso ein Superspaß.
„Summer Carnival“ hat Pink ihre Konzertweltreise schließlich nicht von ungefähr getauft. „Wir sind ein reisender Zirkus, aber eben auch eine superherzliche Gemeinschaft. Die Kinder erfahren viel mehr über die Welt als in der Schule. Wir sind eine total bunte Truppe. Sie lernen, dass es überall gute Menschen gibt, dass Ruhm und Erfolg schön, aber nicht entscheidend sind.“ Bei der vorherigen Tournee hätten sie sich überall Räder geliehen und seien durch die Gegend gebraust. „Das Fahrrad ist ideal, um eine Stadt wirklich kennenzulernen.“
Das neue Album „Trustfall“ hat auch gute Momente
Um Pink selbst, eine notorisch furchtlose, selbstbewusste und nie um eine klare Aussage verlegene Künstlerin, noch ein bisschen besser kennenzulernen, würde sich an und für sich „Trustfall“ anbieten, ihr neuntes Studioalbum. Und es ist auch nicht so, als habe die Platte gar keine guten Momente. Direkt das erste, ruhige Stück „When I Get There“ ist eine berührend-gefühlvolle Ehrerweisung an Pinks Vater Jim Moore, der 2021 im Alter von 75 Jahren an einer Krebserkrankung verstarb, sowie an das Familienkindermädchen Trish, die ebenfalls den Krebs nicht überlebte.
Auch interessant
Auch die Pianoballade „Lost Cause“, geschrieben mit dem emotional begabten Songwriter Wrabel, hat Charisma und klingt wonnevoll traurig, auch stimmlich weiß Pink hier zu glänzen.
Auf dem ansatzweise punkigen, mit Greg Kurstin (Foo Fighters, Adele) geschriebenen „Hate Me“ kommt Pink ihrem legendären Arschtrittpop aus Hits wie „So What“ sympathisch nahe, und „Our Song“ ist zwar eine kitschige, aber auch bewegende, Krafthymne an einen Ex.
Richtige Hits sind auf „Trustfall“ nicht zu entdecken
Enttäuschend jedoch sind die Uptempo-Nummern auf „Trustfall“. Hier passt nicht allzu viel zusammen. Der Titelsong ist eine Dance-Nummer, die nicht fetzt und nicht im Ohr bleibt, das vorab veröffentlichte „Never Gonna Not Dance Again“ klingt, als habe der allgegenwärtige Superproduzent Max Martin nochmal seine alte Idee von Justin Timberlakes „Can’t Stop The Feeling“ aufgebrüht. Und „Runaway“ wirkt fast schon wie eine Persiflage auf Achtziger-Jahre-Hits wie „Maniac“, falls sich jemand erinnert.
Völlig wirkungslos verpuffen die Duette mit First Aid Kit, The Lumineers und Chris Stapleton. Insgesamt wirkt das über einen langen Zeitraum von fast drei Jahren entstandene „Trustfall“ seltsam hingewürfelt, mit 13 zumeist flachen Songs ohne wirklichen Zusammenhang oder eine klare Idee. Richtige Hits, von denen Pink in 22 Jahren Weltkarriere ja massig hatte, sind auch nicht zu entdecken. Dem Kanon der Pink-Klassiker weiß „Trustfall“ nichts hinzuzufügen, das Album bleibt unter ihren Möglichkeiten, Pink ruft ihr Potenzial nicht ab.
In den USA gibt es für Pinks Musik den mild despektierlichen Begriff „Soccer-Mom-Pop“. Nicht nett, aber Pinks explosiver, meinungsfreudiger und mitunter kühner Persönlichkeit werden diese Lauluftliedchen überwiegend nicht gerecht. Aber die Konzerte, versprochen, werden trotzdem ein Mordsvergnügen. Und nach der Tour, so Pink, gehe es dann wieder in die Wälder. Zelten. Tochter Willow freue sich schon drauf.
Pink: „Trustfall“. RCA Records. Ab 17. Februar.