Essen/Köln. Elke Heidenreich blickt auf ein Leben voller Liebe, Leid und Literatur zurück. An ihrem 80. Geburtstag geht es nach der Torte an den Schreibtisch.
Es gab eine Zeit, da fragten sich deutsche Verlagshäuser, verzweifelt, welche Bücher sie machen müssten, um damit in Elke Heidenreichs „Lesen!“-Sendung zu kommen. Schon nach der ersten Sendung im Sommer 2003 sah es so aus, als beruhten die Bestseller-Listen nicht auf Verkaufszahlen, sondern auf Elke Heidenreichs Empfehlungen: Auf Platz eins in der Belletristik lag Eric-Emmanuel Schmitts „Monsieur Ibrahim“, auf Platz zwei der Liebesroman der bis dahin völlig unbekannten Nuala O’Faolain. Bei den Taschenbüchern führte Nick McDonells „Zwölf“, das Harald Schmidt als Gast der Sendung empfohlen hatte, und bei den Hörbüchern ging Heidenreichs Empfehlung „Der kleine Prinz“ steil nach oben, obwohl die Aufnahme schon seit drei Jahren auf dem Markt war.
Als Elke Heidenreich Marcel Reich-Ranicki beisprang, provozierte sie ihre Kündigung
Als sie sich 2008 Marcel Reich-Ranickis Wutrede über den Qualitätsverlust im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei seiner Nicht-Annahme des Deutschen Fernsehpreises anschloss und damit ihren Rauswurf beim ZDF provozierte, hatte sie längst die Nase voll davon, auf immer unattraktivere Sendeplätze herumgeschoben zu werden. Dem nachfolgenden Versuch, „Lesen!“ mit der Lit.Cologne im Internet weiterzuführen, war allerdings auch kein Erfolg mehr beschieden.
Elke Heidenreich, die heute zu ihrem 80. Geburtstag mit Freunden „eine Torte essen und Champagner trinken“ will, um sich dann wieder an den Schreibtisch zu setzen, ist die Katze mit den sieben Leben im deutschen Literatur- und Fernsehbetrieb. Mit ihren Auftritten als Metzgersgattin Else Stratmann aus Wanne-Eickel schuf die in Essen aufgewachsene Heidenreich das schlagfertigere Pendant zu Adolf Tegtmeier. Von Olympischen Spielen bis zu europäischen Adelshäusern kommentierte sie alles und warnte Lady Di schon 1981 weitblickend vor Charles: „Nimm ‘n nich, Kind. Der hat nix gelernt wie Prinz!“
„Tour der Ruhr“, „Kölner Treff“ und als Krönung „Lesen!“
Jürgen Lodemann, selbst Autor aus Essen, lange Jahre Literaturredakteur beim Südwestfunks und Erfinder der Literatur-Bestenliste als Gegenmodell zur Bestseller-Liste, erinnert sich in seinen „Medien-Memoiren“, wie er 1972 Elke Heidemann zum Fernsehen holte: Sie wurde Moderatorin beim Literaturmagazin des Südwestfunks und sei dabei „zaghaft, leise, sehr genau, sehr gut vorbereitet“ gewesen. Geschrieben hat die zunächst durch Talk-Shows wie den „Kölner Treff“ bekanntgewordene Frisurverweigerin Heidenreich zunächst Drehbücher wie das zur TV-Serie „Tour de Ruhr“, bei der das nördliche Revier auf Fahrrädern durchquert wurde. Was wieder von ungeahntem Weitblick war: Was damals noch skurril und komisch wirkte, ist heute großer Freizeitspaß und Tourismus-Magnet.
Dabei hat die Tochter eines Kfz-Mechanikers und einer Näherin für Kino-Vorhänge nicht die besten Erinnerungen ans Revier; die Eltern stritten viel, die Luft war schlecht – da war das Lesen ihre Rettung. Mit 15 zog sie zu einem kinderlosen Pfarrer, der die Begabung der jungen Elke zu schätzen und zu fördern wusste, und mit ihm dann nach Bonn.
Auf die „Kolonien der Liebe“ ließ Elke Heidenreich „Nero Corleone“ folgen
Das Studium (Germanistik, Publizistik, Theaterwissenschaft) blieb unabgeschlossen, die erste Ehe mit dem Schriftsteller Gerd Heidenreich war schnell geschieden. Die zweite mit Bernd Schroeder hielt sie aus lauter Nonkonformismus 15 Jahre lang geheim, nur ihre Freundin Senta Berger wusste davon. Heute ist sie mit Marc-Aurel Floros zusammen, der die Musik zu ihrer zweiten Oper „Adrianas Fall“ (2015) komponierte.
Über Liebesbeziehungen spricht Elke Heidenreich sehr abgeklärt, in ihrem literarischen Debüt, dem Erzählungsband „Kolonien der Liebe“ (1992) scheitern sie allesamt am (klein-)bürgerlichen Alltag. Überhaupt, die Autorin: Mit „Nero Corleone“ (1995) gelang ihr ein zwinkernder Weltbestseller, Kinderbücher wie „Am Südpol, denkt man, ist es heiß“ gehören ebenso zu ihrem Œuvre wie die Reisebücher „Alles fließt“ und „Ihr glücklichen Augen“, mit denen sie zuletzt beeindruckte. Ihr Markenzeichen, mit dem sie auch den herrischen Imperativ von „Lesen!“ sympathisch zu wenden verstand und mit dem sie als Gegenpäpstin Kritik durch Enthusiasmus ersetzte, ist ihre Authentizität, das Unverbogene, ja Unverbiegbare in ihrem Auftreten.