Berlin. Stardirigent Daniel Barenboim tritt als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper zurück. Sein Gesundheitszustand ist deutlich verschlechtert.

Der Ausnahmedirigent und Pianist Daniel Barenboim äußert sich bereits seit Monaten nicht mehr in der Öffentlichkeit. Zuletzt hatte er im Oktober auf Social Media mitgeteilt, dass das Konzert zu seinem 80. Geburtstag am 15. November verschoben werden müsse. Die Ärzte hätten festgestellt, dass er an einer „schweren neurologischen Erkrankung“ leide. Am Freitag gab Daniel Barenboim in einer persönlichen Erklärung seinen Rücktritt als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden bekannt.

„Leider hat sich mein Gesundheitszustand im letzten Jahr deutlich verschlechtert“, teilte der Künstler mit. „Ich kann die Leistung nicht mehr erbringen, die zu Recht von einem Generalmusikdirektor verlangt wird. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich zum 31. Januar 2023 diese Tätigkeit aufgebe. Ich bitte den Kultursenator um Auflösung des Vertrages zwischen uns zum genannten Zeitpunkt.“ Das ist ein bemerkenswert kurzfristiger Rücktritt.

Klaus Lederer: „Ich empfinde eine gehörige Portion Bedauern“

Daniel Barenboim bekommt den Toleranzpreis des Jüdischen Museums Berlin verliehen – und wer spielt Klavier? Daniel Barenboim!
Daniel Barenboim bekommt den Toleranzpreis des Jüdischen Museums Berlin verliehen – und wer spielt Klavier? Daniel Barenboim! © picture-alliance/ dpa | Miguel Villagran

Erst zum Jahreswechsel hatte sich Daniel Barenboim nach längerer Pause am Pult seiner Staatskapelle zurückgemeldet. Sein Comeback mit Beethovens 9. Sinfonie wurde vom Publikum gefeiert. Es war eine zutiefst berührende und verstörende Interpretation der ansonsten immer dahinjubelnden „Ode an die Freude“. Im Finale fehlte die große Zuversicht. Seit Freitag wissen wir, dass es für Barenboim auch ein innerer Abschied vom Opernhaus war. Erst nach den Silvesterkonzerten soll er die Entscheidung, als Generalmusikdirektor aufzuhören, gefällt haben, heißt es aus der Staatsoper. Selbst enge Vertraute wurden erst kurzfristig eingeweiht. Jetzt endet eine große Ära.

Als einen „Jahrhundertkünstler“ bezeichnete ihn der Berliner Kultursenator Klaus Leder (Linke). „Ich bin überzeugt, dass Daniel Barenboim die richtige Entscheidung getroffen hat, auch, wenn der Prozess und letztlich der Entschluss für ihn sicher nicht einfach waren“, sagte Lederer am Freitag. „Seine Entscheidung ist reflektiert, sie stellt das Wohl der Staatsoper und der Staatskapelle in den Vordergrund. Dies alles verdient größten Respekt.“ Und neben dem Respekt, fügt der Senator hinzu, „empfinde ich mit Blick auf die Entscheidung von Daniel Barenboim eine gehörige Portion Bedauern.“ Das wird jetzt vielen in seiner weltweiten Fancommunity so gehen.

Barenboims Liebeserklärung an die Staatskapelle

Aber man muss sich hüten, den Rücktritt aus dem offiziellen Amt eines Generalmusikdirektors an einem Opernhaus bereits mit einem generellen Abschied von der Bühne gleichzusetzen. Während Barenboims Erklärung von der Staatsoper verbreitet wurde, probte der Dirigent gerade mit den Berliner Philharmonikern. Die Probenstimmung soll gelöst gewesen sein. Drei Konzerte will Barenboim nun in der Philharmonie dirigieren. „Selbstverständlich bleibe ich – solange ich lebe – mit der Musik engstens verbunden und bin bereit, auch künftig als Dirigent zu wirken, auch und gerade mit der Staatskapelle Berlin“, heißt es in seiner Rücktrittserklärung. Die nächsten Auftritte Barenboims am Pult der Staatskapelle sollen zeitnah mitgeteilt werden, heißt es aus dem Opernhaus. Darüber hinaus ist er weiterhin gefragt in der von ihm gegründeten Barenboim-Said- Akademie, in der Musikstudenten aus Israel und dem Nahen Osten gleich auf der Rückseite der Staatsoper ausgebildet werden.

Barenboims Abschiedserklärung ist auch eine bemerkenswerte Liebeserklärung an seine Staatskapelle. „Seit 1992 wirke ich als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden Berlin. Die Jahre haben uns musikalisch und menschlich in jeder Hinsicht beflügelt“, heißt es in der Erklärung. „Ich glaube, dass die Staatsoper und ich füreinander ein großes Glück waren. Froh und stolz macht mich insbesondere, dass die Staatskapelle mich als Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat. Wir sind über die Jahre eine musikalische Familie geworden und werden diese auch bleiben.“

Daniel Barenboim mit versöhnlichen Zwischentönen

Daniel Barenboim mit seiner Ehefrau, der Cellistin Jacquelin du Pre. Die Aufnahme soll aus dem Jahr 1968 stammen.
Daniel Barenboim mit seiner Ehefrau, der Cellistin Jacquelin du Pre. Die Aufnahme soll aus dem Jahr 1968 stammen. © picture-alliance / akg-images | akg-images / Horst Maack

Darüber hinaus gibt es auch versöhnliche Zwischentöne zu entdecken, wenn er etwa betont, alle Mitglieder der Staatskapelle zu schätzen, „auch jene, die inzwischen ausgeschieden sind.“ Nicht alle Musiker haben die Staatskapelle im Frieden verlassen. Barenboim war zeitweise ins Kreuzfeuer geraten, weil er als Pultherrscher alter Schule auftrat.

Barenboim wurde am 15. November 1942 als Sohn jüdischer Eltern in Argentinien geboren. Die Familie siedelte nach Israel um, als er neun war. Sein Talent wurde schnell entdeckt, der Dirigent Wilhelm Furtwängler und der Pianist Artur Rubinstein wurden auf ihn aufmerksam. Bald ging er auf Konzerttourneen in der ganzen Welt.

Barenboim sollte eigentlich Direktor der Bastille-Oper werden

Zeitweise trat Barenboim zeitgleich als Pianist und Dirigent auf, später konzentrierte er sich auf das Dirigieren. Etwa 14 Jahre lang leitete er das Orchestre de Paris und sollte eigentlich Direktor der neu gebauten Bastille-Oper werden. Wegen eines Streits über sein Gehalt kam es nicht dazu, stattdessen übernahm er die Leitung des Chicago Symphony Orchestra. Anfang der 90er Jahre wurde er Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper.

Bemerkenswerterweise bezieht Barenboim auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als „angenehme Begleiter“ in seine Abschiedsworte ein. Barenboim war über Jahrzehnte hinweg vom Bund mitgetragen worden, auch wenn er vor Gründung der landeseigenen Stiftung Oper in Berlin nicht erreichen konnte, die Staatsoper zu einer Bundesoper zu machen. Aber bei den großen Opernpremieren war immer auch Bundesprominenz anzutreffen. Der Name Barenboim verbreitet internationalen Glanz.

Wer Barenboims Nachfolge antritt, bleibt noch offen

„Man kann nur erahnen, wie schwer Daniel Barenboim dieser Schritt gefallen sein muss“, teilte Staatsopern-Intendant Matthias Schulz am Freitag mit. „Wir alle wünschen Daniel Barenboim nur das Allerbeste für die weitere Genesung! Daniel Barenboim wird diesem Haus und der Staatskapelle Berlin für immer verbunden bleiben.“Mit der Bekanntgabe des Endes der Ära Barenboim ist offiziell die Phase der Nachfolgersuche eröffnet. Intendant Matthias Schulz sagte am Freitag auf Nachfrage, dass sich seine designierte Nachfolgerin Elisabeth Sobotka, die das Amt im September 2024 übernehmen wird, und Kultursenator Klaus Lederer sehr bald treffen werden, um das weitere Prozedere zu besprechen. Gleichzeitig versuchte der Intendant, den Ball flachzuhalten. „Es gibt keinen Grund, überstürzt zu handeln.“ Schulz verwies darauf, dass es bereits im Jahr 2022 Umbesetzungen wegen der Erkrankung von Daniel Barenboim gab. „So wird es erst einmal weitergehen“, kündigte der Intendant an.

Christian Thielemann ist bis 2024 in Dresden ausgebucht

Zuletzt war Christian Thielemann, der für Barenboim beim neuen Wagner-Zyklus „Ring des Nibelungen“ und bei der Asien-Tournee der Staatskapelle eingesprungen war, als Kronprinz gehandelt worden. Der 63-jährige Thielemann und die Kapelle verstehen sich offenbar prächtig. Aber der Berliner Stardirigent hatte nach der Tournee bereits mitgeteilt, noch bis 2024 in Dresden einen Vertrag und „einen vollen Terminkalender“ zu haben.