Düsseldorf. Ein außergewöhnliche spätklassische frühromantische Messe begeisterte das Publikum in der Düsseldorfer Tonhalle: Beethoven sei Dank.

Natürlich geht’s immer noch besser. Doch wie Philippe Herreweghe Beethovens „Missa Solemnis“ jetzt in der nahezu voll besetzten Tonhalle dirigierte, gehörte sicherlich zu den bewegenden Musikerlebnissen des Jahres. 90 Minuten vollendete Musik – durchsichtig, andächtig und doch mit mythischer, manchmal düsterer Schwerkraft – das bieten Herreweghes „Orchestre des Champs-Elysées“ und das international gerühmte Collegium vocale aus Gent.

Andächtige Stille

Sie wurden – zusammen mit vier handverlesenen Solisten – nach dem Schluss mit ‚Agnus Dei’ jubelnd gefeiert. Doch nach dem letzten, ausatmenden Takt verstrichen zunächst zahlreiche Sekunden, bevor jemand wagte, die Stille durch Klatschen zu durchbrechen. Ein Zeichen dafür, dass Altmeister Herreweghe trotz kleiner Schwächeleien die Meisterkonzert-Abonnenten erreichen konnte.

Das Opus von 1801, das manche für die Krönung von Beethovens Schaffenskraft halten (ähnlich äußerte sich auch mal der Komponist selber über seine ‚Missa‘), lebt von vielschichtigen Ebenen, die ineinander greifen. Reine Musik mit instrumental geführten Stimmen macht Herreweghe hier (wie ebenso auf einer CD-Einspielung) auch sinnlich erfahr.

Das Außergewöhnliche dieser spätklassischen, aber auch frühromantischen Messe, die in Passagen die Welt vergessen lässt: der Wechsel, das Zusammenspiel und die Echo-Effekte von und zwischen Chor, Gesangs-Solisten und dem Orchester.

So kommt es im finalen „Lamm Gottes“ zu einem anhaltenden Dialog zwischen Sologeige und Solisten – perfekt über die Rampe gebracht. Das Erstaunliche dabei ist, dass der Maestro sich stets auf knappe Einsätze für die verschiedenen Gruppen mit dem Unterarm beschränkt. Und damit die Präzision und ein Höchstmaß an Harmonie erzielt. Ob im weitgespannten „Kyrie“ zu Beginn, oder in den Girlanden-Wiederholungen des „Amen“ am Ende des „Credo“-Satzes.

In Schwerelosigkeit führen zunächst die Sänger des Genter Collegium Vocale – ein erlesener Klangkörper: Soprane, Alt-Stimmen, Tenöre und Bässe klingen wie eine Stimme. Lupenrein, die sich, wie aus dem Nichts, über die Köpfe des Publikums legt(legen). Makellos, von manchmal objektiver Schönheit auch der Sound der Solisten Eleanor Lyons und Ilker Arcayürek. Die australische Sopranistin leuchtet in den Höhen, schwingt sich ansatzlos empor und entfaltet einen balsamischen Sound.

Feierliche Stimmung

Ähnlich wie der österreichische Tenor Arcayürek (mit türkischen Wurzeln), der mal mit der Leichtigkeit eines Oratorien- oder Lieder-Sängers beinah abhebt, dann aber wieder mit dosierter, dramatischer Kraft überzeugt. Erstaunlich, wie dieser Sänger in diesem Sakralwerk Tenor-Metall zum Vorschein bringt – selbst wenn er seine schlank geführte Stimme zurückfährt, schimmert sie noch silbrig und passt sich der feierlichen Stimmung an.

Wenn sich auch hier und da über zu rasche oder zu langsame Tempi vielleicht streiten lässt, so überzeugen sind doch insgesamt das französische Orchester, der belgische Chor und die zum Teil exquisiten Solo-Stimmen mit dieser ‚Missa‘-Interpretation. Und verbreiten, passend zur Vor-Weihnachtszeit, eine angenehm klare, unsentimentale, aber jederzeit andächtige Stimmung.