Berlin/New York. Mit „Transatlantik“ legt Volker Kutscher den 9. Roman seiner Reihe um Gereon Rath vor. Welchen mörderischen Fehler er dabei begeht… r
Erfahrene Krimileser wissen: Wer zu viel weiß, lebt – zumal als Figur im Kriminalroman – gefährlich. Was aber, wenn es nun ausgerechnet der Autor ist, der zu viel weiß? Volker Kutscher hat den mittlerweile neunten Band seiner Romanreihe mit Krimis aus der Weimarer Republik und dem beginnenden Naziregime vorgelegt. Er wird sehr zu Recht in einigen Buchhandlungen auch schon mal ins Regal für Historische Romane einsortiert statt bei den Krimis.
Dazu singt Frank Sinatra
Der Anspruch an den eigenen Stil und die historische Genauigkeit rechtfertigen das allemal. Das gilt auch für sein neuestes Werk „Transatlantik“. Es stimmt alles – und es ist auch alles stimmig in der Story. Der nur stümperhaft als Selbstmord getarnte Mord in einer Autogarage, die Ermittlungen der Kripo, die zunehmend unter den Einfluss von Sicherheitsdienst und Gestapo geraten. Und doch kommen einem Volker Rathund seine (zum Schein) um ihn trauernde Gattin Charlotte Rath geb. Ritter zunehmend vor, wie in ein neues Drehbuch für weitere Serienfolgen von Babylon Berlin geraten. Die Serie hat aus dem literarischen Gold der ersten Kutscher-Krimis Kapital mit beachtlichem Schauwert geschlagen, und man hat die TV-Bilder vor Augen, die in ein paar Jahren aus diesem Krimi werden.
Es steht fest: Das wird teuer für die Produzenten: Kutscher baut das Unglück des Luftschiffs Hindenburg vor Lakehurst ein, diverse Atlantiküberfahrten, lässt den jungen Frank Sinatra auftreten und den dicken Göring mit seiner Modelleisenbahn im Jagdschloss Carinhall vor den Toren Berlins spielen.
Und Goebbels spielt mit seiner Modellbahn
Dabei schreibt Kutscher in „Transatlantik“ vor allem Handlungsstränge fort, die in vorherigen Romanen schon angelegt sind. Wieder tauchen der zwielichtige Johann Marlow und Abe Goldstein und die geheimnisvolle Gräfin Sorokina und Straßenkind Fritze auf, das langsam erwachsen wird. Glaubwürdig und spannend sind sie da, wo sie vielschichtig werden wie in der Figur des Kommissars Reinhold Gräf, einerseits schwul, andererseits in der Gestapo.
Stimmt alles, steht zumindest nicht im Widerspruch zu den historisch gesicherten Fakten und lässt doch hier und da den Verdacht aufkommen, dass der Krimischreiber Kutscher vielleicht mittlerweile zu viel recherchiert hat und vor allem sein Held Gereon Rath zu einer Art Forrest Gump des Dritten Reichs wird: wie zufällig überall dabei, wo Geschichte geschrieben wird.
War in den ersten Bänden die Historie Hintergrund der Krimihandlung, so wird hier phasenweise die Krimihandlung zum Hintergrund der allerdings sehr gelungenen historischen Beschreibung von Zeitgeist und Milieu. Das ist, zumindest für Krimifans, manchmal ein bisschen schade.
Volker Kutscher, „Transatlantik“, Piper-Verlag, 592 Seiten, 26 Euro