Bochum. Schluckauf der Wollust: In Bochum begeistert die Bühnenfassung von Hervé Guiberts Roman „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“.
Dies ist die Geschichte von Hervé Guibert: Der junge französische Autor schrieb radikal offene Prosa über sein Leben und seine Aids-Erkrankung, ehe er 1991 an den Folgen eines Selbstmordversuchs starb. Am bekanntesten wurde sein autobiografischer Roman „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“, der jetzt als Uraufführung in den Bochumer Kammerspiele auf die Bühne kommt. Zu sehen ist eine feinfühlig inszenierte Aufführung über Liebe und Leidenschaft in Zeiten einer todbringenden Krankheit, der drohende moralische Zeigefinger in unsere Pandemie-Tage wird größtenteils vermieden. Ein bewegender Abend.
Mit detailversessener Ausstattung von Jonathan Mertz und pulsierenden Synthie-Klängen beschwört Regisseur Florian Fischer das wilde Paris der 80er herauf, in dem sich die junge Künstlerszene zwischen Koks und Schampus gehörig die Kante gab. Mittendrin: der Schriftsteller und Fotograf Hervé, ein aufstrebender Intellektueller, der am liebsten mit seinem jugendlichen Lover Vincent durch die Betten tobt. Doch Hervés Begehren, sein „ununterbrochener Schluckauf der Wollust“, wie es so schön heißt, bleibt unerfüllt, Vincent wendet sich von ihm ab.
Schonungslose Zumutungen
Die Party ist jäh vorbei, als bei Vincent eine ominöse neue Krankheit festgestellt wird, die bald auch Hervé heimsucht: Aids. Lange bevor schon Jugendlichen eingetrichtert wurde, dass „Safer Sex“ keine schlechte Idee ist, soll Hervé als Versuchskaninchen für kaum getestete Medikamente herhalten. Sein quälend langer Abstieg und sein körperlicher Verfall beginnen, den Florian Fischer seinen Zuschauern in langen Szenen relativ schonungslos zumutet. Dafür weiß er einen Schauspieler an seiner Seite, der hier seinen bislang besten Auftritt in Bochum hat: Risto Kübar stammt aus Estland, und sein Akzent ist leider oftmals schwer zu verstehen – doch wie verzweifelt, aufbrausend und warmherzig er den todgeweihten Autor gibt, das fesselt bis zuletzt.
Am Ende gibt’s donnernden Beifall
Überhaupt ist das Ensemble gut gewählt: Thomas Huber gibt den Philosophen Muzil mit kantiger Schärfe. Als Vincent ist William Cooper weit mehr als ein Stichwortgeber. Berührende Szenen gibt es ganz am Ende des mit zwei pausenlosen Stunden recht langen Abends: Gina Haller, die als Ärztin Claudette Chandi zunächst eher geschäftigen Schrittes durch die Kulissen eilt, knüpft zarte Bande zu dem mittlerweile völlig ausgemergelten Autor und streicht ihm behutsam etwas Creme übers Gesicht. Eine wundervolle, zärtliche Szene.
Donnernder Beifall in den nur halbvoll besetzten Kammerspielen. Diese ergreifende, aber keinesfalls unanstrengende Inszenierung hätte mehr Zuschauer verdient.