Temeswar. Temeswar, das 2023 eine von drei europäischen Kulturhauptstädten wird, will kein Feuerwerk abbrennen. Hofft aber auf Gäste,

Acht, neun Schauspieler werfen sich auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar gerade einen Satz zu, leicht variiert springt er von einem zum anderen: „Du schnarchst schrecklich schön!“ – „Ich schnarche schrecklich schön? Nein, du schnarchst schrecklich schön.“ Sprechprobe, schon klar; Spötter sagen freilich, der Satz treffe auch auf die schleppende Vorbereitung dieser Stadt auf 2023 zu, wenn sie Europas Kulturhauptstadt sein wird, sein soll: Du schnarchst schrecklich schön.

Dies nämlich vorab: Schön ist die Stadt im äußersten Westen Rumäniens jedenfalls. Viel Barock und wenig Platte; die Herkunft aus Österreich-Ungarn ist unübersehbar in Architektur und Pestsäule, Dom und Denkmal Prinz Eugens. Vororte heißen klassischerweise „Elisabethstadt“ oder „Josephstadt“: Von den vielen „Klein-Wiens“ auf dem Balkan ist Temeswar vielleicht das Größte.

„Ich kann Lady Gaga einkaufen, aber wir wollen kein Feuerwerk abbrennen“

Und so sitzt Oberbürgermeister Dominic Fritz (39), ein sympathischer Typ Macher, an diesem Vormittag vor Journalisten und erklärt das Große, Ganze. 2023 werde ein Jahr des Übergangs, es solle die Stadtentwicklung und ihre Kulturszene langfristig weiterbringen. „Ich kann Lady Gaga einkaufen, dann steht überall in der Presse, Lady Gaga war in Temeswar“, sagt er. Aber darum gehe es nicht: „Wir wollen uns dem Erwartungsdruck entziehen, hier ein einjähriges Feuerwerk abzubrennen.“

Fritz ist ein Deutscher aus dem Schwarzwald ohne jeden familiären Bezug zur deutschen Minderheit hier; ist der frühere Büroleiter von Bundespräsident Horst Köhler und eigentlich eine eigene Geschichte. Aber um die geht es hier nicht. Sondern um eine schöne Stadt, die drauf und dran zu sein scheint, ihr Jahr zu verspielen.

„Er wird kein Geld für die Kulturhauptstadt kriegen“

Nach dem Zuschlag 2016 haben sie das ursprüngliche Organisationsteam 2019 ausgetauscht. Danach „waren sie überglücklich, dass der Titel wegen Corona von 2021 auf 2023 verschoben wurde, aber sie haben nichts gemacht“, sagt der einheimische Literat und Ex-Chefredakteur der deutschsprachigen „Banater Zeitung“, Werner Kremm (71).

Sie hatten bis zum letzten Sommer keinerlei Touristenbüro. Sie verhandeln erst jetzt über zusätzliche Flüge und Eisenbahnkapazitäten. Der Kreis und die Stadt ringen um Zuständigkeiten und Gelder, und die Regierung in Bukarest ringt mit. Dass der Oberbürgermeister Fritz einer kleinen, liberalen Oppositionspartei angehört, führt Kremm zu der Prognose: „Er wird kein Geld für die Kulturhauptstadt kriegen, weil er nicht der Regierungspartei angehört.“

Die Eröffnung wird in der Staatsoper stattfinden

Nun ist Kremm nur ein Beobachter, Christian Rudik ist mittendrin. „Wir sind ur-spät“, sagt Rudik, der Intendant der Rumänischen Staatsoper. Er weiß wenigstens: Die Eröffnungsfeier wird Mitte Februar auf seiner Bühne stattfinden. Rudik verhandelt, wie er sagt, mit dem Sänger Jonas Kaufmann: „Es sind noch fünf Monate.“ Rumänen könnten wunderbar improvisieren und im letzten Moment ins Ziel kommen.

Und so nennt selbst das Organisationskomitee zu diesem Zeitpunkt kaum konkrete Projekte. Die Kulturhauptstädte 2023 – Temeswar, Eleusis und Veszprém – hätten sich darauf geeinigt, erst im November alle zugleich ihr Programm vorzustellen, heißt es. Ein bisschen kommt dann doch noch: fünf alte Kinos, die zum Kulturzentrum umgebaut werden, ebenso ein Straßenbahndepot, na ja, ein Teil des Depots. Ein Literaturfestival. Eine Skulpturenausstellung. Es sei „das Hauptziel, dass die Gäste sich wohlfühlen und tolle Erlebnisse haben“. Oder: „Wir hoffen, dass die Menschen die Sehenswürdigkeiten besuchen und Temeswar als solches wahrnehmen.“

Die Multikulti-Vergangenheit und das Licht

Die multikulturelle Vergangenheit von Temeswar werden sie zum Thema machen, wollen die Minderheiten einbeziehen, Deutsche und Ungarn, die früher einmal Mehrheiten waren, sodann die Serben, Bulgaren, Roma. Dann steht noch ein Thema etwas unbearbeitet im Raum, was diese Stadt wirklich besonders macht: Hier beginnt im Dezember 1989 die rumänische Revolution, hier rufen die Menschen erstmals „Jos Ceausescu!“ – „Nieder mit Ceausescu!“ Eine Woche später ist der Diktator tot.

Daran erinnert eine engagiert, aber amateurhaft geführte Gedenkstätte, die repräsentative Räume in der Innenstadt bekommen und modernisiert werden soll. Auch das Herzensprojekt des Oberbürgermeisters passt: ein „Revolutionsweg“. „Für drei Millionen Euro wollen wir die Revolution an zwölf Stellen in der Stadt sichtbar machen.“ Wird das fertig für 2023? „Für mich ist Temeswar Kulturhauptstadt dieses Jahr, nächstes Jahr und die nächsten 50 Jahre.“

Temeswar war 1884 die erste europäische Stadt, die eine elektrische Straßenbeleuchtung einschaltete. Opernintendant Rudik ist allerdings überzeugt, dass das nicht Temeswars Leistung war. „Wien wollte abwarten, ob nicht alles abbrennt.“ Werner Kremm, der alte Kritiker, spottet jedenfalls über das Programm: „Sie wollen jetzt etwas mehr mit Licht machen . . . Licht ist auch schön.“ Das Motto von Temeswar 2023 passt jedenfalls dazu: „Shine your light“ – „Lass dein Licht leuchten.“ Ja, bitte.