Essen. Mal wieder ins Kino! „Was Dein Herz Dir sagt: Adieu ihr Idioten!“, „Ach Du Scheiße!“, „Der Nachname“ und „November“ – neue Filme im Überblick.
Neu im Kino: Extreme Gefühlslagen zwischen Glück und Todesangst, aber immer mit einer guten Prise Humor und gut erzählt.
„Was dein Herz dir sagt: Adieu ihr Idioten!“
Suze Trappet ist Friseurin mit eigenem Salon. Aber als der Lungenarzt ihr durch die Blume mitteilt, dass ihre Bronchien vom vielen Haarspray ganz verstopft sind und sie nicht mehr lange zu leben hat, ist sie erst schockiert und danach umso entschlossener, ihr Leben ins Reine zu bekommen. Und das bedeutet zuvorderst, den Sohn zu finden, den sie nach der Niederkunft im Alter von 15 zur anonymen Adoption freigeben musste.
Zwei Männer werden ihr dabei zu unfreiwilligen Helfern. Der IT-Spezialist Jean-Baptiste (Albert Dupontel) kommt mit Suze (blondes Haar und rote Pumps: Virginie Efira) in Kontakt, als sein Versuch, sich im Büro zu erschießen, kläglich scheitert. Der blinde Archivar Monsieur Blin (Nicolas Marié) ist in der Lage, aus dem Gedächtnis Suze zu einer Adresse zu führen, die es gar nicht mehr gibt.
Man merkt früh in diesem französischen Kassenerfolg aus dem Jahr 2020, dass es nichts gibt, das als selbstverständlich erachtet werden sollte. Das gilt für den atemberaubenden Hindernisparcours zwischen den Klippen von Heiterkeit und Ernst ebenso wie für das aberwitzige Jonglieren mit unterschiedlichsten Genrestilen. Albert Dupontel, verlässlicher Charakterdarsteller seit 25 Jahren, produzierte und inszenierte nach eigenem Drehbuch und erweist sich in der Handhabung technischer Kabinettstücke und visueller Erzählkunst ebenso versiert wie in der Führung eines Ensembles mit drei überragend aufgelegten Hauptakteuren.
Sechs Mal konnte der Film im letzten Jahr den französischen Filmpreis César auf sich vereinen, darunter auch den Preis für den besten Film des Jahres. Noch mal ein Jahr später darf diese Filmperle nun auch in Deutschland glänzen.
Nominierungen für die originellste Geschichte und den schönsten Schluss sollten ihm sicher sein.
„Ach du Scheiße!“
Manchmal muss es sprachlich drastisch sein. Architekt Frank entfährt der titelgebende Satz, als er aus einem feuchten Ohnmachtstraum in einem offenbar umgestürzten Dixie-Klo erwacht. Seinen rechten Arm perforiert ein Moniereisen, die Tür ist von außen mit einem Vorhängeschloss verriegelt. In der Welt draußen spielt Blasmusik und Franks Freund Horst, der Bürgermeister werden will, verkündet die Sprengung eines Gebäudes, wofür es eigentlich keine Genehmigung gibt. Das Dixie-Klo liegt im Zentrum der Detonation.
Frank (Thomas Niehaus agiert wie Bruce Campbell) begreift die Zusammenhänge. Die Zeit, sich zu retten, ist denkbar knapp. Eine kleine Stilübung in Schmerz und makabrer Situationskomik, die drastische Details in entwaffnender Weise auf einen Balanceparcours zwischen Heiterkeit, Ekel und Nervenkitzel schickt.
Filmautor Lukas Rinker hat gerühmte Vorbilder von „Tanz der Teufel 2“ über „Nicht auflegen“ bis zu „Staplerfahrer Klaus“ gut studiert und stilsicher zur eigenständigen Tour de Force in Sachen Nahaufnahmen, Lichtsetzung und schauspielerischer Extremexpression verschmolzen.
„Der Nachname“
2018 landete der Regisseur Sönke Wortmann mit der Komödie „Der Vorname“ einen Publikumserfolg: Eine Tischgesellschaft zerstreitet sich heillos über den Namen „Adolf“. Jetzt legt er nach. Diesmal geht es mit der Familie Berger-Böttcher nach Lanzarote.
Während Teil eins auf dem gleichnamigen Theaterstück basierte, gibt es nun die eigene Fortsetzung. Sie beginnt mit der Ankunft von Stephan und Elisabeth (Christoph Maria Herbst, Caroline Peters) und Thomas und Anna (Florian David Fitz, Janina Uhse) auf den Kanaren. Mutter Dorothea (Iris Berben) hat in die Familien-Finca geladen, um zu verkünden, dass sie und ihr Adoptivsohn René (Justus von Dohnányi) geheiratet haben und jetzt „König“ heißen. Ihre Beziehung hatten sie bereits im ersten Film bekannt gegeben. Die Reaktion: pures Entsetzen. Und das ist erst der Anfang. Beschwingt von Wein und Haschkeksen plaudern die Paare nach und nach ihre Geheimnisse aus. Die Sache eskaliert vollends, als René und Dorothea ihren späten Kinderwunsch verkünden.
Sönke Wortmann inszeniert mit beschwingten Bossanova-Klängen und seinem bewährten Sextett. Und das macht einfach gute Laune, selbst wenn die Geschichte ebenso dürftig ist wie die Landschaft Lanzarotes.
„November“
Vor sieben Jahren erschütterten die Anschläge von Paris, im Bataclan, am Stade de France und andernorts Frankreich und die westliche Welt. Regisseur Cédric Jimenez, auf Polizeithriller abonniert („Mörderisches Marseille“), katapultiert uns zurück in jene Tage – und er tut es mit Geschick und Staraufgebot. Entscheidend ist, was er nicht zeigt: die Anschläge selbst – und auch nicht die Opfer. Lediglich als wichtige Zeuginnen und Zeugen werden sie später im Krankenhaus bei der Befragung durch die Polizisten zu sehen sein. Kein blutiges Drama also, stattdessen sind die Zuschauer genauso ahnungslos wie die Polizei in jener Nacht. Es dauert, bis man im Chaos die Identifikationsfiguren findet. Jean Dujardin als Fahndungsleiter Fred mit Staatsanwältin Héloise (Sandrine Kiberlain) an seiner Seite, Anais Demoustier als junge Fahnderin Ines, die mehr Schaden als Nutzen anrichtet.
Mehr und mehr gewinnt die Verfolgung der islamischen Terroristen an Fahrt. Jimenez zeichnet die Fahnder als müde Helden mit Fehlern, Sorgen und Ängsten. Er ist mehr um Authentizität bei Polizeiaktionen bemüht als um dramaturgische Überzeichnung – Aktenzeichen XY im Kinoformat in diesem Spielfilm, der uns in meist kühlen, dunklen blau-grau weißen Farben mitnimmt in die Welt der Polizei, der Einsatztruppen und Spezialkommandos, der Verhöre und Verfolgungen – und in den November des Schreckens von 2015.