Berlin. Ein Klassiker wird neu entdeckt: Seit dem Angriff auf Salman Rushdie sind seine „satanischen Verse“ wieder Thema. Die Verkaufszahlen steigen.
Nach dem Angriff auf Schriftsteller Salman Rushdie geht nicht nur dessen Name weltweit durch die Nachrichten, auch seine Bücher stehen wieder in der Öffentlichkeit. Allen voran das Buch, das Rushdie eine Todesdrohung im Iran einbrachte: „Die satanischen Verse“ sind seit dem Anschlag wieder öfter Thema. Nach Verlagsangaben war es im deutschen Handel zwischenzeitlich sogar vergriffen.
In den vergangenen Jahren habe man „Die satanischen Verse“ jährlich im vierstelligen Bereich verkauft, teilte eine Sprecherin der Penguin Random House Verlagsgruppe mit. Nach dem Attentat sei die Nachfrage sprunghaft angestiegen, so dass das Buch für einige Tage vergriffen gewesen sei. Die Nachauflage in Höhe von 25.000 Exemplaren sei nun wieder lieferbar. „Eine weitere Auflage ist in Vorbereitung.“
Der Autor wurde bei Angriff schwer verletzt
Der Autor war Mitte August in den USA angegriffen und schwer verletzt worden. Als Reaktion habe es nicht nur eine große Welle der Solidarität gegeben, sondern auch eine erneute Einordnung der literarischen Bedeutung seines Werkes quer durch alle Medien, hieß es beim Verlag. „So wünschte sich zum Beispiel Daniel Kehlmann in der „Zeit“ Rushdie zurück auf die Bestsellerliste: „Ein Vorschlag: Kaufen Sie jetzt ,Die satanischen Verse’“.
Das Buch „Die satanischen Verse“ wurde auch kurzerhand ins Programm des „Literarischen Quartetts“ aufgenommen. Moderatorin Thea Dorn stellte in der ZDF-Sendung die These auf, das Buch sei zwar zum berüchtigten Titel geworden, aber kaum jemand habe es wirklich gelesen. Sich selbst nahm Dorn übrigens nicht aus.
Aufregung um das Buch
Als 19-Jährige habe sie damals die Aufregung mitbekommen. „Ich habe mir das Buch damals gekauft, weil ich dachte: Skandal, interessant“, erzählte sie in der Literatursendung. Sie habe damals ein bisschen reingeblättert und gedacht: „Deshalb regen sich alle auf? Ich versteh’s nicht.“ Nach dem Angriff auf Rushdie habe sie das Buch nun wieder in die Hand genommen.
Rushdie verarbeitet in dem Roman im für ihn typischen Stil des magischen Realismus verschiedene Erzählungen über die Frühzeit des Islams, die im Kontrast zu der orthodoxen Lehre von der Unfehlbarkeit des Propheten Muhammad stehen. Die Anspielungen werden eingeflochten in die vielschichtige Erzählung über zwei aus Indien stammende Männer. Ihre Wege kreuzen sich, als sie auf wundersame Weise zu den einzigen beiden Überlebenden beim Absturz eines entführten Flugzeugs über dem Ärmelkanal werden, das auf dem Weg von Mumbai nach London ist. Beide ringen mit ihren familiären Verhältnissen, der Beziehung zu Indien und Großbritannien, sowie dem Verhältnis zueinander.
Der Titel „Die satanischen Verse“ bezieht sich auf eine nicht-kanonische Überlieferung in der islamischen Tradition, wonach der Prophet Muhammad (gest. 632 n. Chr.) eine Offenbarung durch den Teufel erhalten haben soll, die er zunächst den Menschen in seiner Heimatstadt Mekka unwissentlich als göttlich und Teil des Korans präsentierte. Später soll er die betreffenden Verse wieder zurückgezogen haben. Der Koran wurde Muhammad gemäß orthodoxer islamischer Tradition durch den Erzengel Gabriel diktiert und stammt von Gott.
Viele verschiedene Einflüsse
Rushdie verarbeitet diese und andere Erzählungen in Form von Träumen seiner Protagonisten, die Züge des Erzengels Gabriel und des Teufels annehmen. Neben der islamischen Tradition lässt er aber auch Inspirationen aus der hinduistischen Mythologie, der Traumfabrik Bollywood und dem Leben der südasiatischen Community in London sowie aus seiner Geburtsstadt Mumbai einfließen.
Im „Literarischen Quartett“ wurde das Buch von Journalist Deniz Yücel vorgestellt. „Mit einem Wort: Es ist leider geil.“ Es sei ein großes Stück Weltliteratur. Es sei opulent, witzig, klug, manchmal auch derb. Es habe seine Längen, aber darüber lese man hinweg. Es sei schade, dass es erst den Mordversuche habe geben müssen, um es auch im „Literarischen Quartett“ zu besprechen.
„Was ist das Gegenteil von Glauben?“
In dem Buch gebe es einen Schlüsselsatz, sagte Yücel. „Da wird die Frage aufgestellt: Was ist das Gegenteil von Glauben?“ Unglauben vielleicht? Nein, das sei zu gewiss, zu klar, selber eine Form des Glaubens. „Das Gegenteil des Glaubens ist der Zweifel. Darum geht es in diesem Buch – und außerdem ist es verdammt komisch.“