Bochum. Die „Respublika“-Inszenierung des Litauers Łukasz Twarkowski halbiert den Altersschnitt der Ruhrtriennale und seziert das Scheitern von Utopien.
Vielleicht ist das Scheitern von Utopien nicht nur der Regelfall, sondern geradezu ihr Sinn. „Immer versucht. Immer gescheitert“, heißt es in einer Erzählung des Schein-Fatalisten Beckett, aber auch: „Egal. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Auf einem solchen Scheitern fußt die wegen ihrer sechsstündigen Dauer umraunte „Respublika“-Inszenierung des litauischen Regisseurs Łukasz Twarkowski, die nach der Uraufführung 2020 in Vilnius und einem Gastspiel in den Münchner Kammerspielen im Sommer als „immersive Performance“ nun auch bei der Ruhrtriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle Furore machte. Mit der Verheißung, das Publikum in den Rave-Passagen des Stücks zum Abhotten zu bringen, halbierte sie den Altersschnitt des Triennale-Publikums für ein paar Abende.
Das Immersive an der Performance: Die Trennung zwischen Publikum und Ensemble ist komplett aufgehoben, beide bewegen sich durch denselben Riesenraum, keine Rampe, kein Parkett. Der Eiserne Vorhang besteht aus zwei LED-Bildschirmen, über zehn Meter breit und mehr als vier Meter hoch. Eine Empore mit Kuschel-Sofas und -Sesseln sowie eine Tribüne beherbergt alle, die mehr zuschauen als dabeisein wollen: Das Geschehen in den Räumen und Gänge unten wird live gefilmt und ist auf dem Riesenmonitor samt Übersetzung der Texte ins Deutsche und Englische zu verfolgen. Die ersten Viertelstunden der Inszenierung geben allen Gelegenheit, das Gelände von „Respublika“ samt zweier Bars, einer Sauna und Rauchgelegenheiten im Freien gelassen, aber geleitet von Lautsprecherdurchsagen zu erkunden. Was wirkt wie Theater für eine Generation ADHS, die schon ihre Schuldiktate im Laufen absolviert hat, könnte sich auch als Theaterform der Zukunft erweisen.
Experiment mit bedingungslosem Grundeinkommen im Kanada der 1970er-Jahre
Die Zukunft hatten auch die Schauspielerinnen und Schauspieler des Twarkowski-Ensembles 2020 im Blick: Da versuchten sie, als Kommune in den litauischen Wäldern mit bedingungslosem Grundeinkommen zu leben. Das Stück, das die „öffentlichen Dinge“ im Titel trägt, sucht im Rückblick darauf nach Möglichkeiten politischen Handelns, das die mitunter gefängnishafte Keim-Zelle der Gesellschaft hinter sich lässt, ohne sich gleich auf die korrumpierenden Mechanismen der bürgerlichen Demokratie einzulassen. Nachdem das Internet die alte ‘68er-Losung „Das Private ist das Politische“ durch die ungehemmte Veröffentlichung des Privaten weitgehend entpolitisiert hat, seziert „Respublika“ das Scheitern: Die eine nörgelt zu Recht, sie sei die Einzige, die Energie spare, ein Paar rivalisiert im Bett kuschelnd darum, wer weniger egoistisch ist, zwei Männer tauschen sich darüber aus, wer von beiden auf alle Frauen der Kommune scharf war und wer nicht.
Aber Beispiele der Amish People, der vielleicht sogar erfundenen „Pawelschen Republik von 1767“ in Polen (die Bauern vom feudalen Sklavenstatus befreite, aber zu Pächtern in einem kapitalistischen System machte) oder einem gescheiterten Experiment mit bedingungslosem Grundeinkommen im Kanada der 1970er-Jahre zeigen, dass es nicht nur individuelle, sondern auch systemische Schwächen sind, die Vorstellungen vom gemeinsamen Leben unter Freien und Gleichen Utopie bleiben lassen. „Irgendetwas blieb unbedacht und wir leugneten es“, erkennen die Akteure nach vier Stunden, in denen sie einmal sogar wie in einem altmeisterlichen Gemälde mit jahrhundertealten Kostümen gedoppelt werden. Die Fehleranalyse als Voraussetzung für besseres Scheitern.
Laut pulsende Techno- und Rave-Beats von DJs an den Turntables
Wieder versuchen? Warum? Der Impuls, der Vorschein der Utopie ist für Twarkowski und die Seinen im Rave zu erleben, als gemeinsame Grenzüberschreitung in der Freiheit und Gleichheit des Tanzes. Deshalb bietet sich nicht nur in den drei Spielpausen, sondern auch am Ende dieses sehr jungen, in jeder Hinsicht (fort-)schrittfreudigen Abends mit laut pulsenden Techno- und Rave-Beats von DJs an den Turntables die Chance, der Passivität zu entkommen, zu der ein Publikum im Theater üblicherweise verurteilt ist.