Köln. Bunt, charismatisch, ganz nah bei seinen Fans sowie musikalisch kantig und ausgefeilt: Harry Styles ist als Entertainer herausragend.
Das ist das Ende der Fahnenstange. Ausverkaufter als Harry Styles Freitag in der Kölner Arena geht nicht. Um einen Blick auf den englischen Superstar zu erhaschen, akzeptieren seine Fans sogar solche Plätze, die normalerweise, als unverkäuflich gelten: hinter der Bühne. Frontal können sie ihren Liebling nur auf einer Leinwand erleben. Wenn er sich zum Gitarre-Entgegennehmen oder –abgeben in ihre Richtung dreht. Oder, winkend und Kusshände werfend, einen Abstecher in die hinteren Gefilde macht. Hunderte weniger Glückliche kampieren indes draußen vor der Arena. Wenn schon Harry nicht sehen, dann ihm wenigstens nahe sein.
Der Merchandise-Stand drüben an der Wiese ist so gut wie geplündert. Geöffnet hat er schon seit Donnerstagnachmittag. Der Weg von der Straßenbahnhaltestelle aufwärts ist bedeckt mit Federn. Rote, blaue, grüne, gelbe, pink- und lilafarbene. So als hätte man einen Paradiesvogel geschlachtet.
Ein würdiger Enkel von Freddie Mercury
Der aber ist quicklebendig. „Harry! Harry! Harry!“ gellt es dem 28-Jährigen aus geschätzt 17 000, wenn nicht gar mehr, Kehlen entgegen. Styles hat Federboas, Cowboyhüte und Sonnenbrillen, in Kombination getragen, gesellschaftsfähig gemacht. Er findet, dass Angehörige aller Geschlechter Röcke tragen dürfen, Glitzerstaub im Gesicht und Lack auf den Nägeln. Dass als Intro „Bohemian Rhapsody“ erklingt, kommt nicht von ungefähr. Styles wäre ein würdiger Enkel von Queen-Sänger Freddie Mercury.
Gesegnet mit einem Gesicht, in dem sich die Noblesse eines Hugh Grant mit dem Heroischen eines Tom Cruise mischt, so verwegen wie ein Pirat, mokant wie ein Musketier. Mit einem untrüglichen Gespür für die Bedürfnisse seines emotionsgeschüttelten Publikums. Und mit einer Präsenz auf der Bühne, die unglaublich elektrisierend ist. Stimmlich reicht er ans große Vorbild zwar nicht heran, aber dafür kann er, dank langjähriger Boygroup-Dienstzeit, tänzerisch ganz vorne mitmachen. Stücke wie (das nur auf Tour gesungene) „Medicine“ ragen aufs Angenehmste aus dem branchenüblichen Weichspül-Pop und Dancefloor-Gewummer hervor. Hier gibt es überraschende Wendungen, kantige Passagen, stilistische Sprünge. Und die Band des stylischen Harry verdient den Namen Band tatsächlich, indem sich die drei Musikerinnen und drei Musiker durch etwas auszeichnen, was mitunter nicht mehr zwingend notwendig ist: sie spielen live, und das ganz ausgezeichnet. Allen voran die Drummerin.
Ich liebe mich! - Ein Gospel-Gottesdienst mit Harry, dem Priester
In 110 Minuten präsentiert Styles einen Querschnitt aus seinen bisher drei Solo- Alben, wobei der Löwenanteil auf Songs vom letzten, „Harry’s House“ (2022) entfällt. Auch ein Stück von One Direction darf nicht fehlen („What Makes You Beautiful“), der Zugabenteil wird, erwartungsgemäß, mit dem Mega-Hit „Sign of the Times“ eröffnet. Bei der „Love On“-Welttournee ist die Liebe Programm: „Nehmt euch an den Händen, seht euch an und sagt zueinander: ,Ich liebe dich`. Und dann schließt eure Augen und sagt es zu euch selbst: „Ich liebe mich.“. Ein bisschen erinnert das an einen Gospel-Gottesdienst, mit Harry als Heilsbringer. „Thank you for saving me“ – „Danke, dass du mich gerettet hast“ – steht auf einem der selbst gebastelten Plakate, die die vielfach federboabewehrte Fangemeine hochhält. Und auch seiner Ankündigung, dass es eine Show für die ganze Familie wird, kommt der amtierende Thronfolger im Königreich der Teen- und Twen-Ager-Herzen geflissentlich nach.
Geflüsterte Botschaft an die werdende Mutter
Das reicht von Geburtstagsglückwünschen für die (abwesende) Großmutter bis hin zu Trostworten für eine Tante, die ebenfalls verhindert ist. Sie ist im neunten Monat schwanger. Zum Beweis hält Styles das Handy hoch, das ihm die Nichte überreicht hat – mit der Tante am anderen Ende der Leitung, die ihren prallen Babybauch in die Kamera wölbt. Den dürfen alle bewundern. Aber was er der werdenden Mutter anschließend zuflüstert, bleibt Harrys Geheimnis.
Das Ist Harry Styles:
Ebenso wie Niall Horan, Liam Payne, Louis Tomlinson und Zayn Malik trat Harry Styles 2010 bei der britischen TV-Casting-Show „The X Factor“ als Einzelkandidat an. Auf Anraten einer Gastjurorin wurde aus den Sängern im Teenager-Alter eine Boygroup.
Ihren Namen One Direction (1D) verdankt die einem Einfall von Styles. Trotzdem 1D nur auf Platz 3 landeten, winkte ein lukrativer Plattenvertrag. In der Folge wurden sie mega-erfolgreich. Auf ihrem Zenit standen sie in 32 Ländern an der Spitze der Charts, ihre Welttourneen waren ausverkauft.
2015 verließ Malik die Gruppe, ein Jahr später beschlossen 1D eine unbefristete Auszeit zu nehmen. Ähnlich wie sein Landsmann Robbie Williams (Take That) startete Styles danach solo so richtig durch, von allen 1D-Sängern ist er der erfolgreichste. (sus)