Essen. Das Land reagiert sich an einem hirnlosen Trash-Hit ab. Wir haben Sommerhits gesammelt, die auch unter der Zwei-Promille-Grenze Spaß machen.
So schlecht kann es uns gerade wohl doch nicht gehen. Trotz Krieg, Inflation, Irgendwie-noch-Corona und der Aussicht, demnächst an jedem Monatsersten von Robert Habeck einen Eimer Warmwasser für die Tür gestellt zu bekommen, der dann vier Wochen reichen muss, hat sich das Land eine sogenannte Debatte geleistet, wie es sie seit Falcos vermeintlicher Minderjährigenmeuchelphantasie „Jeanny“ anno 1985 nicht mehr gegeben hat.
Angeschubst ausgerechnet von Schützenvereinen und Stadtverwaltungen, die das Lied nicht auf der Kirmes hören wollen, haben sich alle eifrig eine Meinung darüber gebildet, ob „Layla“ nun verboten gehört, einfach nur doof oder doch leider auch geil ist. Sogar Justizminister und Dance-Produzent Marco „MBSounds“ Buschmann hat sich eingeschaltet und plädiert, wie üblich, auf Lockermachen.
Neben „Layla“ wirkt selbst ein Andreas Gabalier wie Goethe
Sicher, die am Ballermann groß gewordene Schlager-Stampf-Nummer über eine „Puffmama“, die „schöner, jünger, geiler“ ist, brennt beim Mitgrölen gewiss so stumpf, banal und uncharmant in der Durstkehle, dass daneben selbst ein Andreas Gabalier („Bügel dein Dirndl gscheit auf“) wie Goethe wirkt.
Aber eine gefestigte Demokratie sollte wohl selbst ein wahnsinnig altbackenes und sexistisches Lied wie „Layla“ von den beiden schwäbischen Bumsbirnen DJ Robin (eigentlich Robin Leutner) und Schürze (eigentlich Michael Müller) irgendwie aushalten können.
Zumal ein feministisches, rassismuskritisches und inklusives Mallorca-Sauflied wohl erst noch geschrieben werden muss.
Nachfolger von Ed Sheerans „Bad Habits“
Während „Layla“ (übrigens Augen auf bei der „beliebteste Mädchenvornamen 2023“-Liste) seit Wochen unangefochten die Charts anführt und als Nachfolger von Ed Sheerans „Bad Habits“ kaum noch auszustechen sein dürfte, pirscht sich als noch halber Geheimtipp Deutsch-Rap-Pimpf Liaze gerade rasant nach vorne. Der Junge, wie heute so üblich, zuerst auf TikTok populär geworden, hat sich die – mit dem Segen der Band – Coldplay-Nummer „Paradise“ vorgenommen und daraus eine tropisch-lässige Chill-Out-Version gebastelt, die noch besser wäre, wenn der Kitsch seines Rap-Vortrags nicht gar so sehr triefen würde.
Sebastián Yatra, Kolumbiens Superstar, mit „Pareja Del Aňo“
Auch Jack Harlow, 24 Jahre alt, als nächster Eminem gehandelt und aus Louisville/Kentucky, ist ein Kind von TikTok, musikalisch aber schon deutlich beschlagener. Sein auf einem soften Piano-Beat aufgebauter Song „First Class“ perlt wie gekühlter Prosecco. Versiert webt Jack Harlow dazu ein Sample von Fergies 2006-er-Hit „Glamorous“ ein.
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Die nötige Portion Standkompatibilität bringen auch die zahlreichen Werke des Produzenten & Rapper-Gespanns Miksu/Macloud auf. Besondere Baggerseenähe beweisen die beiden Essener mit „Sehnsucht“, einer – um im Getränkevergleichsmodus zu bleiben – ganz leicht zu süßen Sommerschorle nicht unähnlich.
Ein Schuss Tequila darf nicht fehlen - Camila Cabello sorgt dafür
Für den Schuss Tequila sorgt ein weiteres Mal jene Camila Cabello, die vor drei Jahren mit „Señorita“ im Duett mit ihrem damaligen Herzbuben Shawn Mendes bereits zu Sommersuperhit-Ehren kam. Nun besingt Camila auf dem recht entspannten und im guten Sinne einfach netten Pop-mit-etwas-Latin-Einfluss-Stück „Bam Bam“ das Ende ihrer großen Liebe, als platonischer Gesangspartner ist Ed Sheeran mit dabei.
Wer es lateinisch authentischer mag, könnte sich an „Pareja Del Aňo“ vom kolumbianischen Superstar Sebastián Yatra im Verbund mit Mike Towers wagen.
Sehr stabil in der Gunst der sommerlichen Hörvergnügen liegt währenddessen schon seit Monaten der allseits umjubelte Geschlechtergrenzen-Plattmacher und Ex-Boyband-Beau Harry Styles mit seiner fluffigen 80er-Pop-Hommage „As It Was“ sowie seit kurzem auch mit der herzigen Feelgood-Hymne „Late Night Talking“.
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Lust, die Luftmatratze mit dem Mund aufzublasen oder wenigstens mal wieder die alten Beach-Tennis-Bretter vom Keller in den Garten zu holen, bekommt ohne Umschweife, wer irgendwo „About Damn Time“ zu Gehör kriegt. Der Hit von Lizzo (34), Rap-Superstar und Diversitäts-Aktivistin aus Los Angeles, ist dermaßen empowernd, dass die Energie einfach sofort irgendwo hinmuss.
Hit der Herzen: „Big Energy“ von Latto macht Superlaune
Doch den Sommerhit der Herzen, den haben wir uns ganz bis zum Schluss aufgespart. „Big Energy“ heißt der Song, die Interpretin nennt sich Latto. Und ehrlich, was macht das Lied für eine Superlaune.
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Mit seinem Funk-Pop erinnert „Big Energy“ so ein wenig an „Uptown Funk“ von Bruno Mars und Mark Ronson, der Song sprudelt vor Positivität und dass er an den leicht hedonistischen Strand- und Cabrio-Pop der Neunziger erinnert, liegt auch daran, dass Latto, bürgerlich Alyssa Stephens, 23, aus Georgia, hier die alte Mariah-Carey-Nummer „Fantasy“ sampelt. Im Remix ist Carey sogar selbst mit dabei.
Nun ist auch Latto eine gewisse textliche Derbheit im sexuellen Sinne nicht fremd. Nur geht es bei ihr um Selbstbehauptung, weibliche Power und Gleichberechtigung. Der Unterschied: Wenn Latto Sex will, dann sagt sie das auf sehr direkte Weise dem Partner oder der Partnerin. Und nicht Schürze-mäßig verdruckst der Puffmutter.
>>> Die Sommerhits der vergangenen Jahre <<<
– 2021: „Bad Habits“ von Ed Sheran
– 2020: „Savage Love“ von Jawsh 685 und Jason Derulo.
– 2019: „Senorita“ von Shawn Mendes und Camila Cabello
– 2018: „Bella Ciao“ von El Profesor im Remix von DJ Hugel
– 2017: „Despacito“ von Luis Fonsi und Daddy Yankee
– 2016: „Don’t Be Shy“ von
Imany
– 2015: „Reality“ von Lost Frequencies feat. Janieck Devy
– 2014: „Prayer in C“ von DJ Robin Schulz
– 2013: „Wake Me Up“ von DJ Avicii (Tim Bergling)
– 2012: „I Follow Rivers“ von Lykke Li sowie „One Day/Reckoning Song (Wankelmut Remix) von Asaf Avidan
– 2011: „Mr. Saxobeat“ von Alexandra Stan
– 2010: „We No Speak Americano“ von Yolanda Be Cool & Dcup