Köln. Karten gab es für Billie Eilishs Konzert in Köln schon lange nicht mehr. In der ausverkauften Lanxess-Arena regnet es am Ende Endorphine.
Draußen erzählt der Müll Geschichten. Von fürsorglichen Eltern (Vollkornbrot,Rispentomaten, Bananen). Von blanken Nerven (Pizza, Pommes, Schokolade). Dem großen Durst (Energydrinks. Vanillemilch, Alkoholhaltiges) und den kleinen Verlusten (eine volle Tüte Gummibärchen, eine Sprayflasche mit Deo, ein Briefchen mit Glückwünschen zum 16. Geburtstag: „Und viel Spaß mit den Karten fürs Konzert!“).
Um die Geschichte zu erzählen, die sich drinnen abspielt, braucht es länger. In Echtzeit fast zwei Stunden, 25 Stücke und mehrere tausend Glückseligkeiten. „Happier Than Ever“ (Glücklicher als jemals) heißt das zweite Album von Billie Eilish. Es ist zugleich Titelgeber für die sehnsüchtig erwartete Welttournee der 20-Jährigen. Anfang Juni gab sie, zur Einstimmung, ein Clubkonzert vor 1900 Fans in Bonn. In Köln, in der lange ausverkauften Lanxess-Arena, regnet es am Ende nicht nur Konfetti, sondern auch Endorphine. Hoch dosiert.
Eine Alice aus dem Singer-Songwriter-Wunderland
Um 21.04 Uhr wabert Nebel auf. Unisono werden Handy-Aufnahme-Auslöser gedrückt. Während Schlagzeuger Andrew Marshall und Multi-Instrumentalist Finneas O’Connell ihre Plätze oberhalb der gewaltigen, schwarzen Rampe unspektakulär zu Fuß erreichen, ist Billie Eilish ganz plötzlich da. Wie aus dem Nichts auf die Bühne gehext.
Eine Alice aus dem Singer-Songwriter-Wunderland, die als 13-Jährige ein Stück online stellte, das Hunderttausende hören wollten, um danach mit Musikvideos und ersten Singles weltweit Furore zu machen. Sieben Jahre später hat sie fast 100 Millionen Tonträger verkauft, jede Menge Preise eingeheimst und ist Idol und Vorbild von Mädchen und Frauen rund um den Globus.
Starke Einspieler kombiniert sie mit einer Laser- und Strobo-Lightshow
Beruhigenderweise eins, das sich nicht dem Dresscode für junge, weibliche Superstars beugt. Mit ihren schwarzen Zöpfen hinterm fransigen Pony, dem schwarzen XXL-Shirt mit Horrorfratze, den schwarzen Radlerhosen und den schwarzen Wadentapes sieht sie aus, wie die sympathische Schwester des bösen Geisterwesens aus „The Ring“, die unversehens zur Heldin einer neuen Manga-Serie avanciert ist, wobei sie die Furchtlosigkeit einer Ronja Räubertochter mit deren Sensibilität paart. Starke Einspieler – zu „Should See Me in A Crown“ stakt eine metallisch glänzende Riesentarantel über die Leinwand, bei „Billie Bossa Nova“ üben sich gesichtslose Tänzerinnen und Tänzer sehr elegant und sehr erotisch im Gesellschaftstanz oder bei „When The Party´s Over“ quellen tintenschwarze Tränen aus Eilishs Augen – kombiniert sie mit einer starken Laser- und Strobo-Lightshow und einer starken Stimme.
Wie stark die wirklich ist, merkt man richtig erst im akustischen Teil. Den sie mit Finneas O’Connell bestreitet, beide an der Gitarre, „Das ist mein Bruder Finneas, er ist mein bester Freund“, stellt Billie Eilish Pirate Baird O’Connell (wie sie mit vollem Namen heißt) ihren Co vor, „ich bin sehr glücklich, so einen Kumpel zu haben.“
Soundgewitter und die Sprünge der Fans lassen die Arena erzittern
Furchtlos ist Eilish, wenn sie zu Songs wie „Not My Responsibility“, „Ocean Eyes“ oder „Bored“ in einem Metallkorb an der Spitze eines Hebearms über dem Innenraum kreiselt, sich so lässig über die Brüstung biegend und lehnend, als sei das ein Balkon im Erdgeschoss. Und Gefühle sprudeln förmlich aus ihr hervor, wenn sie am Ende immer wieder beteuert, wie sehr sie uns liebt und wie dankbar sie uns ist: „Es ist wirklich schwer, zu beschreiben, wie viel ich für euch empfinde.“ Und so weich und gelöst und glücklich, wie sie dabei schaut, glaubt man ihr das sogar.
Um die Geschichte, die sich drinnen abspielt, in Gänze zu erzählen, fehlt vieles. Die „Billie, Billie, Billie“-Schreie. Der Spagat, der Manga-Ronjas tänzerische Ausbildung verrät. Das Soundgewitter und die Sprünge der Fans, die die Arena erzittern lassen. Ein selbst gebasteltes Plakat, auf dem um eine Umarmung gebeten wird, „von unserem sicheren Platz aus“. Und, last but noch least, die Regeln für ein saugutes Konzert, frei nach Billie Eilish: „Sei kein Arschloch. Urteile über niemand in diesem Raum. Habt Spaß, bitches!“