Essen. Friedrich Christian Delius hat über 35 Bücher selbst geschrieben – Roman, Essays, Erzählungen – und unzähligen zur Welt verholfen. Ein Nachruf.
Ein Homme de Lettres, wie er im Buche stand: Friedrich Christian Delius schrieb nicht nur selbst über 35 Bücher mit Romanen, Erzählungen und Essays, er half auch, Bücher und Karrieren anderer ins Licht der literarischen Öffentlichkeit zu heben: Zuerst als Lektor mit Klaus Wagenbach, dann als Mitbegründer des Rotbuch Verlags, in dem Texte von Heiner Müller, Thomas Brasch oder Herta Müller erschienen, bevor sie prominent wurden.
Delius, der 1943 in Rom geborene Sohn eines westfälischen Hilfspfarrers und einer Kindergärtnerin, war auch als Literarhistoriker beschlagen, seine Dissertation „Der Held und sein Wetter“ deckte den ideologischen Gebrauch von Regen und Sonnenschein in Romanen des Bürgerlichen Realismus auf und ist noch heute als Buch erhältlich.
RAF-Trilogie gut recherchiert
Delius’ Auseinandersetzung mit der RAF, über die er sich mit Wagenbach zerstritt, dokumentiert eine Roman-Trilogie, die zu den Meilensteinen seines Gesamtwerks gehören: „Ein Held der inneren Sicherheit“, „Mogadischu Fensterplatz“ und „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“. Die Bände waren sorgfältig recherchiert und von erschreckender Klarheit in der Darstellung von Widersprüchen, Lügen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Delius untersuchte aber auch als Essayist Dinge wie die „Deutung und Ausbeutung der Barschel-Affäre in Kommentaren der FAZ“.
Und noch in seinen schwächeren Büchern wie „Die Birnen von Ribbeck“ über die deutsche Einheit oder „Die Flatterzunge“ über einen Berliner Symphoniker, der bei einer Gastspielreise in Israel eine Hotelrechnung mit „Adolf Hitler“ unterschrieb, bewies F.C. Delius, wie er oft genannt wurde, ein untrügliches Gefühl für die Themen der Zeit – erst recht mit seinem kleinen Erzählungs-Meisterstück vor dem „Wunder von Bern“-Hype unter dem Titel „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“.
„Die Minute mit Paul McCartney“
Überhaupt: gerade in der kleinen Form bewies Delius oft seine Meisterschaft, die ihm Auszeichnungen wie den hoch dotierten Breitbach- oder den noch höher angesehenen Büchner-Preis einbrachte. „Die Minute mit Paul McCartney“ etwa ist eine große Miniatur, in der Delius in der Manier von Raymond Quenaus „Zazie in der Metro“ ein- und dieselbe Anekdote in 45 verschiedenen Versionen durchspielt, von der Eilmeldung bis zur Gegendarstellung, vom japanischen Kurzgedicht bis zum Reiseführertipp, inklusive einer Begegnung zwischen Pauls Bobtail und Googles Übersetzungsautomat.
Ein Homme de Lettres, von dem wir nun Abschied nehmen müssen: Am Montag ist F. C. Delius im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben. Uns bleibt sein veritables Werk.