Dortmund. Mal Provokations-Standard, mal brillant inszenierte Tragödie: Peter Konwitschnys Dortmunder „Walküre“ hat zwei Seiten. Musikalisch glänzt es.

Nun hat Peter Konwitschny das Geheimnis gelüftet, warum er seinen Dortmunder „Ring des Nibelungen“ nicht in der von Wagner erdachten Chronologie auf die Bühne bringt. Die Reihenfolge, verrät er im Programmheft, ist „von uns willkürlich festgelegt“. Was hätte der Schöpfer wohl eingeworfen? „Hojotoho, Haltloser – wie wichtig tust Du, wahnhafter Wicht, durch Willkür die Walkür zu wechseln?!“

Sei’s drum. Der Auftakt also ohne „Rheingold“, dafür mit dem Publikumsliebling des 16-stündigen Kleeblatts. „Die Walküre“, wir erinnern uns, ist Wotans Lieblingstochter Brünnhilde. Sie hat ein Herz für das von Wotan gezeugte Menschenpaar Siegmund und Sieglinde, obwohl die zwei Racker unvernünftigerweise als Zwillinge miteinander ins Bett steigen. Wotan liebt sowas, aber der berühmteste Eheknatsch der Operngeschichte (Fricka ist kinderlos, Hüterin der Ehe zugleich) bedingt, dass er Siegmund fallen lässt. Brünnhilde hält dagegen, verliert und wird bis zur nächsten Oper (Dortmund, Mai 2023, „Siegfried“) in Tiefschlaf versetzt.

Peter Konwitschny eröffnet den Dortmunder „Ring des Nibelungen“

Wer Konwitschny bestellt, kriegt Konwitschny. So ist die Inszenierung in Teilen ein Provokations- und Avantgarde-Museum, in den trüberen Momenten leider recht nah an der Provinz. Wie oft wir den finsteren Hunding (auch physisch furchteinflößend: Denis Velev, hier Clanchef und Prolet dazu) schon in abgewrackter Wohnküche Dosenbier zischen sahen (hier plus Burger, Ketchup, Kartenspiel)? Man zählt irgendwann nicht mehr.

Apropos heimischer Herd: Frank Philipp Schlößmanns Bühne weist den drei Aufzügen standesgemäße Koch- und Polsterwelten zu. Im zweiten, bei Wotans daheim, eine Einrichtung zum Kleinwagenpreis. Auf dem Weg nach Walhall glänzt dann Induktion und Bulthaup. Die Götterwelt als Küchenkabinett?

„Die Walküre“ in Dortmund hat Provokations-Plattitüden, aber auch Brillantes

Mitnichten, Fairerweise muss man sagen , dass bei Peter Konwitschny nicht nur Design das Bewusstsein regiert. Vielfach zeigt er sich als kluger Menschenbildner. Er tut es in einer Inszenierung, die sich clever vom Tagesschau-Theater fernhält und die Binnengeflechte, die Lage der Figuren sehr fein, sehr detailsatt ausmalt.

Vielleicht wäre man ohne den vielen Whisky für Wotan ausgekommen, vielleicht hätten wir Frickas Hysterie auch ohne permanent gezücktes Pillendöschen registriert. Aber wie souverän Konwitschny an diesem Abend die Ballade vom traurigen Gott erzählt, wie feingliedrig und anrührend er Wagners Tragödie der Abhängigkeiten an Vater und Tochter vor allem im Schlussakt durchmisst, das ist intensives, exzellentes Musiktheater. Am Ende treffen den Altrocker (77) Buhs und Bravo-Rufe in gleichen Teilen.

Sechs Harfen auf Ohrenhöhe - ein herrliches Klangerlebnis in Dortmunds Oper

Einhelliger die Euphorie über den Klangkosmos. Dortmunds Philharmoniker (kleine Patzer in den Bläsergruppen abgezogen) haben einen bestechenden Auftritt. Gabriel Feltz steigt nicht unbedingt mit Hochdruck ein, schwerblütig eher, aber es entsteht eine nie abreißende Spannung, das Orchester (überwältigend filigran bei Wotans „Leb wohl...“) spielt einen Wagner von famoser Transparenz. Und wenn am Ende (Brünnhilde im Feuerbann direkt über dem Orchester!) sechs Harfen von der Bühne aus das Parkett fluten (beim „Ring“ der Semperoper ebenso effektvoll eingesetzt), ergeben wir uns selig.

„Die Walküre“: Sänger auf hohem Niveau und eine Brünnhilde mit Bayreuth-Weihen

Das Sänger-Ensemble ist von hohem Rang. In der Titelrolle überragt alle: Stéphanie Müther. Ihr Brünnhilde hat Festspielniveau. Ihr stolzer Fanfarensopran ist nie schrill, auch die zarten Momente der Verletzlichkeit gestaltet sie kostbar innig. Im Sommer singt sie in Bayreuth. Noel Bouley singt einen expressiven, nie onkelhaften Wotan. Sein Bariton hat ein edelraues Timbre: ein außergewöhnlicher Gestalter.

Mit satt baritonalem Fundament glänzt der Heldentenor von Daniel Frank; den Siegmund singt er mit herrlich offener Stimme – und faszierend langen „Wälse“-Rufen, die Lauritz Melchior das Wasser reichen. Astrid Kessler Sieglinde setzt sich von süßlicher Belcanto-Tradition der Rolle ab, besticht als charismatische Sängerdarstellerin. Kai Rüütels Fricka singt ohne Tadel, etwas mehr Charakterschärfe darf freilich noch dazukommen.

29. Mai, 12. und 16. Juni. Karten (ab 26 €): 0231-502722 2