Recklinghausen. Flo Kasearu ist die jüngste Ruhrfestspiel-Künstlerin in der Kunsthalle – und krempelt das Museum mit Ironie und tieferer Bedeutung um.
Noch nie hat eine so junge Frau die obligatorische Kunst Ausstellung zu den Ruhrfestspielen in der Kunsthalle Recklinghausen gestaltet – und lange nicht mehr war diese Ausstellung so abwechslungsreich, unterhaltsam und zugleich von gesellschaftlicher Tiefenschärfe wie „Flo‘s Retrospective“ – Barry Flanagans heiterkritische Hasenparade an gleicher Stelle ist auch schon 20 Jahre her.
Deshalb ist ja schon der Titel, den die 37-Jährige estnische Künstlerin gewählt hat, tiefironisch. Aber, wie auch in ihren übrigen Arbeiten, auch ernst. Sie hat einiges von ihren früheren Arbeiten wiederverwertet, auch der Begriff Kreislaufwirtschaft ist an dieser Stelle ja nur halb ironisch. Flo Kasearu hat den Recklinghäuser Kunstbunker in eine Art Wohnlandschaft verwandelt, hat die Abdeckungen von den schlanken, hohen Fenstern abgenommen und gegebenenfalls durch Jalousien ersetzt.
Unten hat Flo Kasearu„Oma’s Shop“ eröffnet, zu kaufen gibt es – nichts
Und unten, wo sonst die Kunst von der Große-Perdekamp-Straße aus in die Halle transportiert wird, hat nun „Oma‘s Shop“ eröffnet, in dem es, trotz besetzter Kassenanlage von anno dunnemals, nichts zu kaufen gibt. Aber eine bewässerte Auslage und ein Video vom Ausräumen eines Ladens. Den vertrockneten Zimmerpflanzen darin, wie typisch, werden wir drinnen wiederbegegnen Dort empfängt uns eine liebevoll ziselierte Wohnzimmertapete, auf der comicartige Willkommens-Zeichnungen hängen. Bisschen übertrieben wirkt die Euphorie darauf, man fühlt sich prompt nicht gemeint.
Um die Ecke dann ein Umkleideraum für jene mit grotesk großen Mützen, Phantasie-Uniformen und anarchisch wirkenden Symbolen ausgestattete „Unordnungspatrouille“, die Flo Kasearu an den Festspielwochenenden auf Streife schickt, teils beritten, teils zu Fuß.
Aus Flo Kasearus estnischer Heimat nach Reckinghausen
Oben unterm Dach der Kunsthalle wird’s dann freilich ungemütlich: man denkt, heute zumal, bei den vier Trumms dort oben unwillkürlich an Leitwerke eines abgestürzten Flugzeugs – aber es sind vier ähnlich geformte Ausschnitte eines Zinkdaches. Ein Video zeigt, wie sie ausgeschnitten und abtransportiert worden sind, in Flo Kasearus estnischer Heimat. Sinnbild von Obdachlosigkeit, Überwachung und Gefahr zugleich.
Ganz ähnlich funktioniert die Wohnzimmerlandschaft im Mittelgeschoss neben vier Nonsens-Spielfeldern: sieht ganz normal aus, würden da nicht zwei Kunsthallenpfeiler durch die Sitzflächen von Sessel und Sofa gehen. Diese Kunst macht lächeln, aber sie befeuert auch die Beunruhigung.
„Flo’s Retrospective“. Kunsthalle Recklinghausen, Große-Perdekamp-Straße 25-27. Bis 7. August. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Eintritt: 5 €, erm. 2,50 €, Kinder unter 14 frei. Ein Katalog zur Ausstellung erscheint später.