Essen. Abgesagt, verschoben – die Live-Branche hat stark unter der Corona-Pandemie gelitten. Jetzt geht’s wieder zwar los. Doch der Druck bleibt hoch.

Im Oktober wollte Otto Waalkes in die Essener Grugahalle kommen. Für 2022 hatte der Komiker eine große Tour mit 86 Shows in fünf europäischen Ländern geplant. Doch trotz der Corona-Lockerungen hat Waalkes die komplette Tour abgesagt: Verordnungs-Chaos und Bestimmungs-Wirrwarr würden die Planungssicherheit zunichtemachen, hieß es dazu. „Bei Regen und Schnee geh‘ ich gern auf Tournee“, sang Waalkes in einem Instagram-Video, „doch dies Jahr – wird das leider nicht wahr.“

Ganz so düster ist es nicht. „Live“ ist wieder möglich. Die Inzidenzen sind hoch, doch das Land macht sich locker. Für die Veranstaltungsbranche, die in der Pandemie gelitten hat wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig, ist es ein Segen. Fürs Bankkonto, aber auch für die Seele.

„Leicht wird es nicht“

„Veranstaltungstechnik ist mein Leben“, sagt Thomas Heinrich. Der 38-Jährige sorgt in der Turbinenhalle Oberhausen dafür, dass bei Events alles glatt läuft. Vor der Pandemie (die Älteren erinnern sich vielleicht) feierten und tanzten dort bei Konzerten bis zu 3600 Menschen – ohne Abstand, Masken oder der Angst vor Aerosolen. Dann kam das Virus. Heinrich hat den erzwungenen Stillstand für Weiterbildungen genutzt. Doch viel lieber hätte er getan, wofür er brennt – seinen Job. „Ich bin zuversichtlich, dass 2022 eine halbwegs normale Saison wird“, sagt er. „Aber leicht wird es nicht.“

Der Neustart stellt die Live-Branche vor Herausforderungen. „Anders als eine Fabrik, in der Fließbänder per Knopfdruck aus- und wieder eingeschaltet werden, lässt sich der Veranstaltungsbetrieb nicht so einfach hochfahren“, sagt Heike Schätze, die Vorsitzende der „Liveinitiative NRW“ (Lina). Unter dem Dach des in Düsseldorf ansässigen Verbands haben sich Betreiber von Spielstätten und Clubs zusammengetan. Viele von ihnen sind verunsichert, weil sie Fragen zur Auslegung und zur künftigen Entwicklung der Corona-Regeln haben. Wer jetzt ein Stadionkonzert für den Spätsommer plant und 30.000 Karten verkauft, dann aber nur 25.000 Menschen einlassen darf, hat ein Problem. „Wie wollen Sie damit umgehen? Sollen die Leute dann Lose ziehen?“

Gastro, Security, Service – „an allen Ecken und Enden fehlt das Personal“

Außerdem fehle „an allen Ecken und Enden das Personal“, sagt Schätze. Gastro, Security, Service – viele, die einst ihr Geld in der Branche verdienten, hätten sich nach zwei Jahren Pandemie umorientiert. „Wer an der Theke arbeiten will, aber nicht darf, geht halt Regale einräumen bei Aldi – das ist im Vergleich eine sichere Bank“, sagt die Lina-Chefin. Zugleich erinnert sie daran, dass inzwischen mehr Personal nötig ist als vor Corona, falls Maskenpflicht oder Impfnachweise zurückkommen. Die Folge: steigende Kosten bei gleichzeitig geringeren Einnahmen, wenn die volle Auslastung der Clubs und Hallen nicht möglich ist.

Was die Planung von Veranstaltungen zusätzlich erschwere, sei das Virus selbst. Erkrankt ein Künstler, ist die Show natürlich gelaufen. Aber auch die Infektion eines Crew-Mitglieds könne dafür sorgen, dass am Abend die Halle zu bleiben muss – mitgehangen, mitgefangen: ab in die Quarantäne.

„Trotz allem“, sagt Heike Schätze, „sind wir froh, wieder öffnen zu dürfen. Viele von uns sind hoch motiviert und wollen was auf die Beine stellen.“

Das gilt auch fürs Publikum. „Es zeichnet sich ab, dass alle darauf warten, wieder mehr Freiheiten zu genießen – sie wollen, dass die Pandemie endlich, endlich vorbei ist“, sagt Fred Handwerker. Der Konzertveranstalter aus Unna hat große Namen im Programm: Kiss, Judas Priest, Tokio Hotel, Zucchero … „Iron Maiden im Kölner Stadion ist schon ausverkauft“.

Ticketpreise könnten steigen

Trotz aller Lockerungen und der Aussicht auf sinkende Inzidenzen im Sommer sagt Handwerker: „Der Druck bleibt weiterhin hoch“. Er verweist auf die Kosten für Personal, Energie, Logistik und Transport, und sagt: „Das wird sich auch bei den Ticketpreisen zeigen“.

Zudem sei eine gewisse „Blockade in den Köpfen“ vieler Musik-Fans zu beobachten – verständlicherweise: Wer seit 2020 Menschen aus dem Weg gegangen ist, mag nun ein mulmiges Gefühl verspüren, wenn er mit Tausenden einer Rockband zujubelt. In diesem Jahr erwartet Handwerker daher noch „eine gewisse Gewöhnungsphase“. Dies zeige sich beim Kaufverhalten: Für Konzerte, die vor Corona innerhalb von Minuten ausverkauft gewesen wären, gibt es heute teils nach Wochen noch Tickets.

Wann es wieder Karten für Auftritte von Otto geben wird, ist noch nicht bekannt. Dass er aber zurück auf die Bühne will, singt der Ostfriese in seinem Video: „Seid nicht traurig, bald ist die Zeit wieder reif – dann gibt’s bestimmt: Otto live.“