Essen. Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ bleibt an Essens Aalto Theater ein Abend nicht erzählter Geschichten. Applaus für Darsteller und Musiker.
Einfach ist es nicht, gegen diesen komplexen musikalischen Riesen anzuspielen. Zu vielschichtig ist Béla Bartóks einzige Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Zu changierend die Seelenerforschung im Märchengewand, in der sich in diesem Einakter von 1911 Musik und Text (Béla Balász) kongenial verbinden.
Nach vielen Jahren hob nun das Essener Aalto-Musiktheater das Drama von Blaubart und Judith als Solitär auf die Bühne. Ob sich Regisseur Paul-Georg Dittrich daran verhob oder einfach nur viel wollte, sich in zu vielen Ideen und Erzählansätzen nebst Regieplattitüden verhedderte, bleibt am Ende unwichtig. Denn das intensive und stringent erzählte Kammerspiel findet nicht statt.
Die Essener Philharmoniker unter dem jungen Gastdirigenten Gábor Káli begeistern
Dass es dennoch ein spannender Abend ist, verdankt man Karl-Heinz Lehner als Blaubart und Deirdre Angenent als Judith, sowie den Essener Philharmonikern unter dem jungen Gastdirigenten Gábor Káli, die nur wenig Wünsche offen lassen.
Eindrucksvoll – wie immer, wenn er eingesetzt wird – öffnet sich der riesige blaue Eiserne Vorhang (zugleich das eindrucksvollste, viel versprechende Bild der knapp 80 Minuten) und gibt den Blick frei in Blaubarts Burg. Ein Rund, um das eine Gazewand kreist, zugleich Projektionsfläche für Videoszenen (Kai Wido Meyer). Drumherum im Halbkreis sitzen Zuschauer auf weißen Sesseln, die wie bequeme Schaukeln von der Decke baumeln. Vorher eingewiesen übernehmen sie einige Statistenaufgaben, Handreichungen. Wir sind mitten im Spiel, soll es wohl heißen, wie Judith in der finsteren Burg, die ja Blaubarts Seele ist. Ah, ja.
Sie hat ihr früheres Leben hinter sich gelassen, folgt dem geheimnisvollen Mann, der gemeinhin als möglicher Frauenmörder gilt, will ihn erkennen, seine vielschichtige, hinter sieben Türen verborgenen Seelen-Burg nicht nur erhellen, sondern um Blaubarts tiefste Geheimnisse wissen. Nach und nach überlässt er Judith die Schlüssel zu diesen Türen: Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, geheimnisvoller Garten, schließlich sein Reich und der geheimnisvolle See aus Tränen. Es bleibt die siebte Tür. Dahinter die vermeintlich ermordeten früheren Frauen, prachtvoll gewandet als Morgen, Mittag und Abend. Judith, die sich schon zu Beginn das starre Prachtgewand (Bühne und Kostüme: Sebastian Hannak) als Rollenklischee von Blaubart nicht umlegen lässt, bleibt nur die Nacht.
Die Bravi gehörten ausschließlich Sängern und Orchester
Bei jeder Tür senkt sich ein kastenförmiger Pavillon mit Jugendstilornamenten in den Kreis der Burg hinab. In der Folterkammer ein halbwüchsiges Mädchen, das ein Kissen zerfetzt. Ist es die junge Judith? Wird hier Missbrauch angedeutet? Später, im Tränensee, taucht sie wieder auf. Mit der echten Judith betritt sie den Zuschauerraum. Sind dort die „Zeugen“, sind alle Judith? Auch da bleibt die Regie im Ungefähren, reiht „Effekte“ aneinander, ohne wirklich eine Geschichte zu erzählen. Auf der Bühne wird eine Lichtreklame heruntergelassen: „Es war einmal“ steht da, darunter leuchtet „War Nicht“, schließlich nach Öffnen der siebten Tür montiert Judith daraus „War ich“, während der bereits durch eine pfeilscharfe Lilie verletzte Mann geliebt, nicht erkundet - oder wie Lohengrin „befragt“ - werden möchte.
Am Ende tragen die Zuschauer-Statisten wie zu Anfang Judith gelbe Lämpchen ins Seelenrund dieser Burg, die sie löschen. Dann ist die Nacht nicht erzählter Geschichten und heischender Effekte wirklich hereingebrochen.
Wäre da nicht die unter Gábor Káli leuchtend durchschrittene Partitur: strahlendes Blech für die Waffenkammer, die irisierend-impressionistische Welt der Schatzkammer mit flirrender Harfe und Celesta, das grandios sich öffnende C-Dur-Orchestertutti, wenn sich Blaubarts Reich weitet. Die rhythmische Struktur, dissonante Reibungen, aber auch weitgespannten Klangflächen machen den Abend zum Hörerlebnis. Karl-Heinz Lehners weicher, voller Bariton verfügt über den prägnanten Kern, den ein Macho-Blaubart idealerweise braucht. Deirdre Angenent zeigt sich als ideale Judith zwischen jugendlich-lyrischem Verführerinnenklang und höhensicherer dramatischer Attacke. Die Bravi gehörten ausschließlich Sängern und Orchester.
Die nächste Aufführung im Aalto-Theater ist am 27. Februar, 18 Uhr. Info und Karten: 0201/ 82 22 200 oder theater-essen.de.
Es gilt bis auf Weiteres 2G mit Nachweisen. Maskenpflicht auch auf den Plätzen.