Essen. Alicia Keys hat ein neues Album gemacht. Auf „Keys“ beleuchtet sich der Weltstar von allen Seiten – daher gibt es jeden Song in zwei Versionen
„Dieses Album ist für mich wie nach Hause zu kommen“, sagt eine durchaus als enthusiastisch zu bezeichnende Alicia Keys, während sie strenggenommen natürlich schon längst zuhause ist. Um ihr neues Werk, das einfach „Keys“ heißt, aber vom Konzept her ganz schön kompliziert ist, gebührend zu erläutern, hat Alicia zur Zoom-Konferenz geladen. Kleine Kachelmenschen aus aller Welt haben sich zugeschaltet, manche mit Video, manche ohne; Alicia selbst sitzt am recht frühen Vormittag Ortszeit (die Söhne Egypt und Genesis sind gerade erfolgreich zur Schule geschickt worden) in ihrer avantgardistischen Villa, die zwischen Los Angeles und San Diego liegt und einen beeindruckenden Blick auf den Pazifik bereithält. Sie trägt Sonnenbrille, einen weißen Rollkragenpulli mit einem gelben Jäckchen darüber, dazu zwei wirklich stattliche Kreolen.
Zurück zu den Anfängen mit „Fallin’“ und dem Debüt „Songs in A Minor“
„Das Album führt mich zurück zu meinen Anfängen“, erklärt die Vierzigjährige aus Hell’s Kitchen in New York, die 2001 mit dem Song „Fallin‘“ und dem wunderbaren Debütalbum „Songs In A Minor“ binnen weniger Monate zu jenem Weltstar wurde, der sie seither geblieben ist, selbst wenn die Verkaufszahlen ihrer Alben schon seit einer Weile nicht mehr ganz so überragend sind. Aber Keys hat definitiv eine überwältigende Aura, sehr viel Charme und ein sympathisches Selbstvertrauen, von daher weiß sie sich auch abseits von Charts und Streaming-Rekorden bestens in Szene zu setzen – etwa in der „The Voice“-Jury, als Markenbotschafterin einer deutschen Premium-Automarke oder in der medialen Aufbereitung ihrer immer noch faszinierenden Geschichte (Tochter einer Alleinerziehenden aus prekären Verhältnissen schafft es mit Talent, Fleiß, kompromissloser Liebe der Mutter und Leidenschaft nach ganz oben), so zuletzt in ihrer 2020 veröffentlichten Autobiografie „More Myself“.
Sie sagt: „Ich fahre auf diesem Album genau in meiner Spur. Es ist das intensive Dokument meiner Auseinandersetzung mit dem Piano. Es geht um großartige Songs und um überwältigende Gefühle.“ Alicias achtes Studioalbum rankt sich stilistisch weniger als zuletzt um Pop, sondern um Soul, Blues und vor allem Jazz. Man fühlt sich beim Hören hineinversetzt in eine dieser New Yorker Kellerbars, in denen tolle Talente in schlechter Luft aber mit großer Lust an der Musik singen und ihre Instrumente spielen. „Das Universum, in das ich mit diesem Album einlade, ist gefüllt von Eleganz und einer großartigen Erhabenheit“, so Alicia. „Ich gebe meine ganze Rohheit, meine unverhüllten Emotionen in diese Lieder. Ich halte nichts zurück.“
Erinnerungen an Ella Fitzgerald und Norah Jones - und ein Bond-Song
Alicia lächelt, erklärt den Zuschauenden noch, wie sie die Stereo-Funktion bei Zoom aktivieren können, und dann spielt sie ihre neuen Lieder, die sie größtenteils und oft frühmorgens in den vergangenen 18 Monaten komponiert hat, während die Familie mal mit irgendwas anderem beschäftigt war, ihrem virtuellen Auditorium vor. Und tatsächlich: „Keys“ ist ein beeindruckendes, ein beseeltes, Album. Der Nachfolger des vor einem Jahr nach mehreren Verschiebungen veröffentlichten „Alicia“ entwickelt mit seiner Intimität und Einfühlsamkeit sogleich einen starken Sog.
„Skydive“ ist ein wahrhaft elegantes und smoothes Stück Piano-Pop, „Dead End Road“ eine große Ballade mit Chor, sehr viel Gefühl und der Botschaft, dass wir nicht alles hinwerfen sollen, nur wenn wir mal in irgendeiner Sackgasse des Lebens feststecken. „Is It Insane“ erinnert dann tatsächlich an Ella Fitzgerald, eine von Alicias erklärten Inspirationspatinnen auf dieser Platte. Der Song ist herrlich jazzig und ein ganz kleines bisschen verrucht, Fans von Norah Jones werden dieses Lied, das Keys bereits vor zwanzig Jahren geschrieben habe, sicher ebenfalls lieben. Die stimmungsvolle Liebesballade „Best Of Me“ lässt anschließend an Sade denken, und das prachtvolle „Nat King Cole“ würde auch als Bond-Song taugen.
Die aufgepeppten Song-Varianten mit Nähe zu Portishead und Massive Attack
Der zusätzliche Clou von „Keys“: Es ist ein Doppelalbum mit jeweils zwei Versionen eines jeden Liedes. Die von Alicia selbstproduzierten Piano-Songs, „Originals“ genannt, existieren also auch als aufgepeppte Reinkarnationen mit mehr Beats, Hip-Hop-Elementen und einer gewissen Nähe zu Bands wie Portishead und Massive Attack. Der Produzent der „Unlocked“ betitelten Albumhälfte heißt Mike Will Made It und hat durchaus gute Arbeit abgeliefert, allerdings sind die Piano-„Originals“ doch um einiges betörender als die Remixe.
Aber für Alicia Keys entscheidend sei der 360-Grad-Blick auf ihre Kunst, und den ermöglichen die 26 „Keys“-Songs ohne Abstriche. „Ich möchte auf ‚Keys‘ meine komplette Persönlichkeit präsentierten“, sagt sie abschließend. „Ich erforsche mich selbst von allen Seiten – der frischen und modernen Seite, aber auch der zeitlosen Seite. Auf diesem Album bekommt man mich voll und ganz.“