Oberhausen. Deep Purples neues Album „Turning to crime“ bringt Cover-Versionen. Wegen Covid konnte man keine neuen Songs schreiben, gesteht Roger Glover.
„Oh Mann, wir sind doch keine Schauspieler!“, seufzte Roger Glover Mitte Oktober, „aber wir sehen ja ein, dass es sein muss...“ – und stiefelte mit den Kollegen von Deep Purple zu einem Video-Dreh fürs neue Album „Turning to crime“ ins Studio in Bottrop-Kirchhellen. Jens Dirksen sprach anschließend mit dem Bassmann Roger Glover (75), der 1969 ein Jahr nach ihrer Gründung zur Band dazustieß und auch erfolgreicher Produzent von Bands wie Nazareth, Status Quo, Rainbow oder Judas Priest war, in einem Hotel in Oberhausen.
Mr. Glover, was führt Sie denn nach Oberhausen?
Roger Glover: Oh, psst: Wir wollen eine Bank überfallen! (lacht schallend)
Okay, jetzt mal im Ernst: Warum haben Sie ein „kriminelles“ Album mit lauter geklauten Songs gemacht?
Dinge passieren spontan. Ian Gillan ist letztes Jahr bei einem Interview gefragte worden, was er denn jetzt in der Pandemie so mache. Da hat er behauptet: „Ich mache jetzt in Verbrechen.“ Als wir einen Albumtitel gesucht haben, hatten wir fast ein Dutzend Vorschläge, aber der blieb eben hängen.
Und warum wurde es ein Cover-Album?
Das hat mit der Art zu tun, in der normalerweise unsere Songs entstehen: Wir jammen im Studio. Wir haben Spaß, probieren verschiedene Idee und Rhythmen aus, so haben wir das immer gemacht, seit ich 1969 zur Band dazukam. Es sind wir fünf, die das zusammen machen. Einer alleine kriegt das so nicht hin. Ging aber wegen der Pandemie nicht. Wir leben ja an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt.
Und weil sie keine Songs machen konnten, haben Sie auf fertige zurückgegriffen?
Yeah. Und klar war auch: Wir versuchen nicht, wie die Originale zu klingen, die kann man eh nicht verbessern. Also haben wir extemporiert, hier und da ein Solo hinzugefügt, wir haben versucht, die Songs zu unseren zu machen.
Und sie haben dann jeder zu Hause gespielt?
Wir wussten ja nicht, ob es funktioniert. Wir mussten alle von derselben Blaupause kommen. Also haben Steve Morse, Don Airey und ich die Demos zu jedem Song gemacht. Unser Produzent Bob Ezrin hat sie dann an die anderen geschickt, jeder hat zu Hause seinen Part dazugespielt – und die Sachen kamen besser zurück als wir es je erwartet hätten. Es ist eben ein vitaler Unterschied, ob du eine Drum-Machine auf dem Demo hast, pfdah-pfdah-pfdah – oder ob Ian Paice das spielt. Da denkst du: Hey, es wird lebendig!
Wie kam es denn, dass es nun diese 12 Songs von „Oh Well“ bis „White Room“ geworden sind?
Wir hatten eine Liste von 40, 50 Songs.
Und?
Wir haben abgestimmt! Was die meisten Stimmen hatte, kam aufs Album. Deep Purple ist eine sehr demokratische Band!
Aha?
Ja, das gilt auch für die Setlist bei einer Tour. Da kommen wir dann einen Tag vorher zusammen und diskutieren, was wir in welcher Reihenfolge spielen. Und das erste Konzert ist dann die Probe.
Wie? Sie proben gar nicht vor einer Tournee.
Ach was, das ist doch nicht nötig. Ja, ich kenne Bands, die proben zwei Monate lang, bevor sie auf Tournee gehen, damit alles perfekt ist. Aber Deep Purple besteht aus Spielern, die wissen, was sie tun. Wir sind eine faule Band, die sich gerne zu viel Umstände erspart. Es ist sehr einfach für uns, etwas zu verändern und sofort auszuprobieren. Und wir kümmern uns nicht groß darum, was die Leute denken. Wenn es uns gefällt, gefällt es uns. Punkt.
Als ich das letzte Mal mit Deep Purple gesprochen habe, waren Sie sich nicht sicher, ob es ein nächstes Album geben würde – hat sich das geändert?
Nein, so reden alte Leute halt. Wie lang lebst du noch? Könnte sein, fünf Minuten, könnten aber auch fünf Jahre sein. In ein paar Tagen werden ich 76, die anderen sind auch in diesem Alter. Früher oder später wird es Deep Purple nicht mehr geben. (seufzt) Also könnte jedes Album unser letztes sein.
Und was ist mit einer Tournee?
Ach, wer weiß schon, was die neue Corona-Welle für Folgen hat, da sitzen wir alle im selben Boot und können nur hoffen.
Wie ist denn „Caught in the act“ am Schluss des Albums entstanden? Dieses Medley klingt für mich am meisten nach Deep Purple.
Wenn wir live spielen, stimmen Don oder Steve vor der Zugabe oder als Intro für einen Song einen alten Klassiker an, manchmal Led Zeppelin, manchmal AC/DC. Das ist zu einem Ritual für uns geworden. Ich glaube, es fing mit „Green Onions“ an…
… das ja auch ein Teil von „Caught in the act“ geworden ist …
… und wir wussten erst nicht, was er da spielt. Aber dann sind wir alle eingestiegen. Und als wir das Album jetzt eingespielt haben, sagte irgendwer: Hey, warum setzen wir diese kleinen Intro-Fetzen nicht einfach mal zusammen? Und es hat Spaß gemacht, reiner Fun!
So klingt eigentlich das ganze Album.
Ja, es ist im Moment einfach nicht genug Spaß in der Welt. Und wenn, dann ist es oft verzweifelter Spaß.
Wäre das nicht ein Grund, das ganze Album live zu spielen?
Oh, das gäbe ein Schlachtfeld!
Wieso?
Wir könnten uns als Band nicht einigen, welche anderen Songs wir dafür weglassen sollen. Und erst die Fans! Wir können ja leider nicht einen halben Tag lang spielen.
Och.
Nein, wir sind eben eine faule Band.
Haben Sie eigentlich jemals die Nase voll davon gehabt, „Smoke on the water“ zu spielen?
(wie aus der Pistole) Never! Niemals!
Faszinierend.
Na, es ist jedesmal eine andere Situation, in der wir das Stück spielen, damit fängt es schon mal an. Und dann gibt es unzählige Variationen, Ian singt es mal so, mal anders. Ich spiele auch fast jedesmal einen anderen Bass-Part. Es ist einer dieser magischen Songs. Er ist so simpel, er hat eine so einfache Struktur, dass es kinderleicht ist, auf eine Variation zu kommen.
Merkt das Publikum so etwas?
Ich weiß es nicht, aber da geht es ja um meinen Spaß. Steve Morse hat allerdings mal gesagt, dass sich manche Bands einen Knopf wünschen, den sie drücken können, um das Publikum ausrasten zu lassen. Wir haben diesen Knopf schon, und der heißt „Smoke on the water“. Ganz ehrlich: Wenn ich im Publikum stünde, ich wäre echt traurig, wenn Deep Purple diesen Song nicht spielen würde.
Vermissen Sie Live-Auftritte?
Mann, live zu spielen, dafür sind wir da! Alben aufnehmen, das tun wir nebenbei. Wenn man live spielt, ist man lebendig. Dein Hirn rast die ganze Zeit. Diese Spannung! Und: Keine Telefone, keine Familie, kein Management – da ist nichts außer dir, die Musik und das Publikum! Das ist die Magie.
Oh, immer noch, nach all den Jahren?
Aber sicher! Wir sind kein Showbiz, wir sind keine Pop-Band.
Also spielen Sie nicht mehr, damit Geld reinkommt?
Oh doch! Ich hatte zwei Scheidungen, die mich zweimal ruiniert haben. Und arbeiten müssen wir auch noch. Das Geld, was du heute mit Alben verdienst, ist mickrig. Ein Promille dessen, was wir in den 70ern verdient haben.
Ach, stimmt: Sie wollten ja gleich noch die Bank überfallen! Danke, dass wir erst noch reden konnten!