Essen. Federico Fellini, ursprünglich Karikaturist, zeichnete Filme, Szenen, Kostüme, bevor er drehte. Eine Steilvorlage für das Museum Folkwang.

Vom Papier auf die Leinwand: Dass der burleske Bilder-Kosmos des Film-Genies Federico Fellini nicht erst vor der Kamera Gestalt angenommen hat, zeigt das Essener Museum Folkwang in einer umfangreichen Schau, die Kunst und

Federico Fellini: Frau Carla, 1961–62, Zeichnung zu Achteinhalb. Faserstift, 28 x 22 cm.
Federico Fellini: Frau Carla, 1961–62, Zeichnung zu Achteinhalb. Faserstift, 28 x 22 cm. © Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Kinogeschichte in bemerkenswerter Vielfalt vereint. Erstmals seit rund 30 Jahren sind Fellinis Arbeiten auf Papier dafür in so großem Umfang nach Deutschland gekommen. Ergänzt werden die rund 220 Zeichnungen aus der Schweizer Sammlung Keel in Essen von Filmstills, Drehbuchauszügen und kurzen Videoeinspielungen seiner Meisterwerke sowie von Filmplakaten aus dem eigenen Bestand.

Ursprünglich schon 2020 als Jubiläumsschau zum 100. Geburtstag der Film-Legende geplant, gerät die Corona-halber verschobene Ausstellung nun zur facettenreichen Betrachtung von (Film)-Maske und Maskeraden. Der krähennasige „Casanova“, den Fellini 1976 wie einen greisen Pharao aufs Papier wirft, begegnet dem Besucher da ebenso wie die Skizze von „Anita als Priester verkleidet“, zeichnerische Fingerübung zum Fellini-Klassiker „La Dolce Vita“, oder der rotwangige Aurelio aus „Amarcord“, dessen Zeichnung der Regisseur Anfang der 1970er mit sehr konkreten Anweisungen versieht: „Auch auf dem Rücken muss er Affenhaare haben“.

Karikaturen werden zu Casting-Vorlagen

So werden die oft ins Groteske übersteigerten Zeichnungen zu Casting-Vorlagen für Filmfiguren, die der italienische Meisterregisseur schon früh genau im Kopf hat. „Ich habe meine Figuren immer gezeichnet, um zu versuchen, sie auf diese Weise ins Leben zu rufen – in erster Linie für mich selbst.“ Zeichnungen zu frühen Fellini-Filmen sind nach Abschluss der Dreharbeiten noch vernichtet worden oder verloren gegangen. Es habe gedauert, bis man Fellinis zeichnerisches Werk auch unabhängig von den Filmproduktionen als Schöpfungen eigenen Werts erkannt und aufbewahrt habe, erklärt Folkwang-Kurator Tobias Burg, der die Ausstellung zum Streifzug durch mehr als 30 Schaffensjahre macht.

Federico Fellini: Ohne Titel, 1976. Zeichnung zu „Il Casanova“. Ölkreide und Faserstift, 28 x 22 cm.
Federico Fellini: Ohne Titel, 1976. Zeichnung zu „Il Casanova“. Ölkreide und Faserstift, 28 x 22 cm. © Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Dabei beginnt Fellinis Ausnahme-Karriere früh mit dem Zeichnen. Schon als 16-Jähriger karikiert der Junge aus Rimini seine Freunde während eines Freizeitlagers, eröffnet bald seinen ersten Zeichen- und Karikaturenladen, heuert bei einer Satirezeitschrift an und zeichnet zunächst Werbebilder für Kinoschaukästen – um als Lohn freien Eintritt in die Filmpaläste zu bekommen.

„La Strada“, das weltberühmte „La dolce Vita“, „Satyricon“, „Fellinis Stadt der Frauen“

Der Film lässt ihn nicht mehr los. Nach ersten Anläufen als Drehbuchautor ermöglicht ihm die Mitarbeit am Rossellini-Film „Rom – offene Stadt“ 1945 endlich den Einstieg in die Filmwelt. In den Folgejahren entstehen mehr als zwei Dutzend Meisterwerke wie „Lichter des Varieté“ (1950), „La Strada“ (1954), Fellinis erster Welterfolg, das weltberühmte „La dolce Vita“ (1960) und „Satyricon“ (1969) oder „Fellinis Stadt der Frauen“ von 1980.

Wer durch die Ausstellungsräume streift, sieht, wie aus Kopfgeburten Figuren, Kostüme, Szenenbilder werden. Und erkennt, welch beträchtlicher Aufwand da betrieben wird, um Fellinis fremde und magische Welten entstehen zu lassen, die klassische Genre-Grenzen sprengen in ihrer visionären Eigenheit aus Gemälde, Theater und Maskenball. „Was ist denn der Film, wenn nicht die Verwirklichung einer Fantasie?“, findet Fellini.

Anita Ekberg ins Playboyhafte übersteiger, Donald Sutherland muss altern

Dass diese Fantasie mit dem Bildermagier und passionierten Grenzgänger zwischen Traum und Wirklichkeit bisweilen auch durchgeht, zeigen die ins Playboyhafte übersteigerten Porträtzeichnungen Anita Ekbergs,

Tittas Vater Aurelio, eine Zeichnung zu „Amarcord“.
Tittas Vater Aurelio, eine Zeichnung zu „Amarcord“. © Sammlung Jakob und Philipp Keel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

deren nächtliches Bad im Trevi-Brunnen später Filmgeschichte schreiben wird. Am Filmset treibt ihn die Frage um, wie man den smarten Marcello etwas schäbiger machen könnte: „Dunkle Schminke? Angeklebte Augenbrauen? Er muss abnehmen!“, notiert Fellini. Und auch für die Verwandlung Donald Sutherlands zum alternden Casanova sind die passenden Maskentipps festgehalten: Doppelkinn und künstliche Augenbrauen!

So werden diese oft farbigen Skizzen mit Filzstift und Fineliner nicht nur zum Mediums des Ausprobierens, zum „Mittel, sich an einen Film heranzupirschen“. Sie spiegeln auch den visuellen Reichtum des Fellini-Werkes, das unter den von Poesie, Phantasie und bunten Jahrmarktfreuden doch immer auch den harten Kern der Realität, den Existenzkampf der gesellschaftlichen Randfiguren spiegelt.

Fellini wird zum Verbündeten der Folkwang-Idee von der Einheit der Künste

Nicht nur Cineasten empfiehlt sich deshalb diese augenöffnende Folkwang-Schau: Sie funktioniert gleich auf mehreren Ebenen. Sorgt für sinnenfreudige Schaulust an den Wänden, beleuchtet ein bedeutendes Kapitel der Kinogeschichte, macht Arbeitsprozesse der noch gänzlich analogen Filmstadt Cinecitta sichtbar und erklärt Federico Fellini am Ende auch zu einem Verbündeten der Folkwang-Idee – die Einheit der Künste wird hier mit Schätzen aus Zeichnung, Fotografie, Film und Plakat gefeiert.