Essen. „Es gilt das gesprochene Wort“ heißt das Romandebüt des Filmemachers Sönke Wortmann. Ein Interview über Debattenkultur und kreative Einsamkeit.
Er zählt zu den erfolgreichsten deutschen Filmemachern: Sönke Wortmann, 1959 in Marl geboren, hat von „Kleine Haie“ über „Der bewegte Mann“ bis „Das Wunder von Bern“ Filmgeschichte geschrieben – und jetzt seinen ersten Roman. Mit Britta Heidemann sprach der 62-Jährige über Debattenkunst, Diplomatie und die Einsamkeit des Schriftstellers.
Herr Wortmann, das ist Ihr erster Roman – warum jetzt, warum genau dieser?
Sönke Wortmann: Ich hatte schon früher mit dem Gedanken gespielt zu schreiben, hatte aber nie ein Thema. In den vergangenen Jahren habe ich ab und zu Politiker auf Reisen begleitet – und das fand ich spannend, ich habe mich immer schon für Politik und Diplomatie interessiert. Plötzlich wusste ich: Der Redenschreiber des Außenministers, das könnte eine Romanfigur sein! Ich wollte jemanden haben, der nicht in der ersten Reihe Politik macht. Das wäre mir zu wenig subtil gewesen. Der Redenschreiber muss aber doch seinen Minister kennen wie die eigene Westentasche, das ist ein großes Vertrauensverhältnis.
„Obamas Rede zu seinem Amtsantritt, die finde ich mitreißend und bewegend“
Nun gelten politische Reden heute oft als langweilig…
Mein Thema ist genau dies: Debatten, Streitkultur. Früher, als Student habe ich mir Bundestagsdebatten angehört. Heute fehlt mir die Zeit. Und sie sind auch nicht mehr so spannend wie früher. Man bekommt heute die Essenz sofort mit, durch die sozialen Medien, doch nie das Ganze. In meinem Roman kommen auch Reden vor, die die Welt teilweise verändert haben. Obamas Rede zu seinem Amtsantritt, die finde ich auch persönlich mitreißend und bewegend.
Und warum ist aus diesem Stoff kein Film geworden?
Naja, das könnte ja noch kommen. Ich glaube, erst einen Film zu machen und dann einen Roman zu schreiben ist der falsche Weg…
… den jüngst aber Quentin Tarantino eingeschlagen hat…
…aber nicht sehr erfolgreich, das fand ich nicht sehr schlau. Wahrscheinlich war ihm langweilig. Das ist so meine sportliche Ader: Ich wollte mal etwas ganz anderes machen. Ich kann nicht singen, ich spiele kein Musikinstrument, aber einen Roman zu schreiben, das schien möglich. Ich habe das Buch nicht mit dem Hintergedanken geschrieben, es selbst zu verfilmen. Aber wenn es jemand liest, ein Regisseur oder ein Produzent, und möchte einen Film daraus machen, dann freut mich das natürlich.
„Einen Plan hatte ich nicht wirklich. Ich wusste auch nicht, wie die Geschichte ausgeht.“
Wie sind sie vorgegangen beim Schreiben, was waren die Schwierigkeiten?
Ich hatte ja zuerst meinen Protagonisten, den Redenschreiber Klenke, dann den Antagonisten, den Botschaftsmitarbeiter in Marokko, Cornelius von Schröder. Und dann fand ich spannend, Klenke als Mann des Wortes mit einer Frau zusammenzubringen, die nicht sprechen kann. Als ich die drei hatte, habe ich mal angefangen zu schreiben, aber einen Plan hatte ich nicht wirklich. Ich wusste auch nicht, wie die Geschichte ausgehen wird. Verschwörungstheorien, die Flüchtlingsfragen, die sozialen Medien, das waren Themen, die wie von selbst hineingeflossen sind im Schreibprozess. Das passiert einfach, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht.
Von außen denkt man oft, der diplomatische Dienst hat etwas Antiquiertes. Sie waren vor Ort, wie haben Sie das erlebt?
Ja, ich war an jedem der Schauplätze im Roman, bis hin zu dem Balkon in Prag, auf dem Genscher gesprochen hat. Die Botschafter in Marokko und Südafrika, bei denen ich recherchiert habe, und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das waren alles ganz coole Leute. Wenn die abends keinen Anzug tragen, dann sehen die auch nicht mehr aus wie Diplomaten.
Man hat oft den Eindruck, die Politik kann die Flüchtlingsfragen gar nicht lösen, wie ist Ihr Eindruck nach Ihren Begegnungen?
Das kann schon sein. Wenn die Grenzen zu Europa offen wären, das habe ich in der Zwischenzeit auch gelernt, wäre hier Land unter. Das kann man nicht so einfach machen, so schlimm die Situation für die Migranten auch ist. Ich bin froh, dass ich bei dem Thema nichts entscheiden muss. Das ist ein großes Dilemma. Aber die Menschen, die ich in Marokko erlebt habe, geben sich große Mühe und kämpfen jeden Tag für eine bessere Situation vor Ort.
Im Roman gibt es einen Botschaftsmitarbeiter, der privat und beruflich frustriert ist und Verschwörungstheorien aufsitzt. Ist das Ihre Diagnose: Sind solche Menschen besonders empfänglich?
Das ist genau meine Diagnose, ja. Aber nicht nur meine, das sagen auch Experten. Wer unzufrieden ist, aus beruflichen und privaten Gründen, ist deutlich anfälliger. Da denken Leute: Ich kann nicht selbst Schuld sein an meinem Unglück, ich habe doch nichts falsch gemacht, da muss es eine höhere Macht geben. Und dann geht man ins Netz und findet Leute, die diese Ideen teilen und will gar nicht mehr hören, wenn es gegenteilige Ansichten gibt. Nach dem Motto: Meine Meinung steht fest, bitte verwirren sie mich nicht mit Tatsachen!
„Unser aktueller Spielfilm „Contra“ zeigt vielleicht eine langfristige Lösung auf.“
Haben Sie Ideen, wie man das lösen könnte?
Unser aktueller Spielfilm „Contra“ zeigt vielleicht eine langfristige Lösung auf, er handelt vom Debattieren. Ich glaube, wenn schon an der Grundschule gelehrt würde, wie man dem anderen zuhört, sich eine Meinung bildet und die auch vertritt, dann hätte die nächste Generation in dieser Hinsicht bessere Chancen. Wir haben mal ein Jahr in Indonesien gelebt, dort sind meine Kinder auf eine internationale Schule gegangen – und dort gab es einen Debattierclub. Das war toll. Und vielleicht sehen ja nun Lehrer unseren Film und kommen auf die Idee, einen solchen Club auch an ihrer Schule zu gründen.
Können wir mit einem zweiten Roman von Ihnen rechnen?
Wenn der erste ein Ladenhüter wird, wohl eher nicht. Aber das Schreiben hat mir schon gefallen, vor allem am Ende. Am Anfang war ich mir tatsächlich nicht sicher. Den Vorschuss vom Verlag habe ich direkt auf die Bank getragen, um ihn wieder zurückzahlen zu können, sollte ich es nicht hinkriegen. Wenn mir bei einem Filmdreh nichts einfällt, kann ich immer noch den Kameramann oder einen Schauspieler fragen und irgendwie kommen wir dann schon weiter – beim Schreiben muss ich das ganz allein lösen. Das ist eine Einzelsportart.
Sönke Wortmanns Romandebüt „Es gilt das gesprochene Wort“
„Es gilt das gesprochene Wort“ lautet der Titel von Sönke Wortmanns Romandebüt (Ullstein, 240 S., 24 €): Franz-Josef Klenke ist Redenschreiber des Außenministers Hans Behring – und liebt Maria, der ihre Schüchternheit die Sprache verschlägt. Auf einer Reise nach Marokko trifft Klenke auf den Botschaftsmitarbeiter Cornelius von Schröder, der mit gespaltener Zunge spricht.
Drei ganz unterschiedliche Menschen lässt Wortmann in seinem Debüt höchst lebendig werden, leuchtet feinironisch ihre jeweiligen Schwächen aus, die immer wieder zu skurrilen Szenen führen – ohne je ins Klamaukige zu fallen. Ausbalanciert auch die kundigen Ausflüge ins Politisch-Historische, die zwar von fundiertem Wissen zeugen, aber nie belehrend wirken. Kurz: unbedingt lesenswert!