Dortmund. Der langjährige Leiter der Dortmunder Brauereimuseums geht: Heinrich Tappe im Gespräch über Theken und Tradition, Bierkrüge und Borussia.
Anderthalb Jahrzehnte stand Heinrich TappeDortmunds Brauermuseum vor. Nun darf er sein letztes Bier im Amt trinken. Lars von der Gönna traf ihn zum Abschiedsgespräch – über die Kultur von Kneipe, Pils und Sponsoring.
Wir hatten zuletzt viel mit Virologen zu tun, Sie sind Bierologe. War Ihre Wissenschaftler-Leber jungfräulich, als Sie hier Chef wurden?
Heinrich Tappe: Nein. An der Universität bin ich als Historiker großgeworden an einem Lehrstuhl für Ernährungsgeschichte. Das Thema meiner Doktorarbeit war „Die Alkoholfrage im 19. Jahrhundert“. Da spielte auch die Brauwirtschaft eine Rolle. Davon abgesehen: Ich bin ein Kind der 70er Jahre, ich habe gerne Bier getrunken. Mit der Position hier verband ich durchaus Neigung.
Ihr erstes Bier haben Sie womöglich vor der Doktorarbeit verkostet. Erinnern Sie sich?
Ich war vielleicht 15 – und es hat mir überhaupt nicht geschmeckt: viel zu bitter. In dem Alter hätte ich nicht geglaubt, dass das mal ein Lieblingsgetränk wird.
„Der nächsten Generation reichten ein Bier und ein Gespräch nicht mehr“
Die 1970er sind eine Zeit, in der unsere Region eine lebendige Kneipenkultur hat. Dann folgt Wandel und Verfall. Die Kneipe an der Ecke, der Sparkasten, die Wirtin als mütterliche Freundin: weg!
Vielleicht sind es schon 40 Jahre der Veränderung. Das begann in den 80ern zu bröckeln. Eine Gaststätte, die weitgehend vom Getränkeverkauf lebte, begann schon da zu verschwinden. Heute gibt es sie kaum noch. Überlebt haben eigentlich nur die in der Innenstadt, aber ohne größeres Speiseangebot schaffen auch die es kaum noch. Die anderen an der Ecke haben aufgegeben, Corona war der Todesstoß für die Wenigen, die es noch gab.
Woran liegt der Abstieg dieser Schänken vor Corona?
Das ist ein Mix: Es beginnt beim Fernsehen, es hat mit dem Flaschenbierverkauf zu tun, aber auch mit dem Aufstieg des Autos. Die Männer blieben einfach öfter zu Hause. Der nächsten Generation reichten ein Bier und ein Gespräch nicht mehr – das musste dann ein Event sein, die Disco allen voran.
Die untergegangene Kneipe war männerdominiert. Lag das an harter Arbeit, am Vereinssport?
Die Tradition ist sehr alt. Ein Mann ging allein in eine Kneipe, eine Frau nicht. Die Rollenverteilung war eindeutig. Erst die 80er, 90er ändern das langsam. Eine Frau trank auch nicht, erst recht kein Bier aus großen Gläsern. Das war verpönt. Das spiegelt sogar die Alkoholwerbung, einst wurden dort Frauen nur als hübsche Kellnerinnen abgebildet. Später dann mit extra kleinen Gläsern, bloß keine Humpen!
Sie haben sich auch mit der Kneipe als Ort der Debatte beschäftigt...
Sie ist ein neutraler Ort. Dort sind erstmal alle gleich. Es trafen sich hier ja nicht nur Chöre, hier fanden auch politische Versammlungen statt. Ohne Aufsicht! Darum hat man ja auch in Preußen versucht, im Ruhrgebiet möglichst wenig Gaststätten zu konzessionieren. In Bochum oder Gelsenkirchen war die Kneipendichte nicht üppig; der Staat wollte schlicht keine Versammlungsorte für Arbeiter.
„Das Bier aus dem Mittelalter hätte uns noch weniger geschmeckt“
Sie überschauen Bierkultur über viele hundert Jahre. Würde uns der Gerstensaft der Altvorderen heute noch schmecken?
Kaum. Im Bier des 19. Jahrhunderts würde uns der CO2-Gehalt fehlen. Es kam ja in Kannen aus dem Keller, das prickelte wenig. Das Bier aus dem Mittelalter hätte uns noch weniger geschmeckt, man gab Würze wie Lorbeer hinzu, auch Kirschen...
Viele kleine Brauereien sind verschwunden. Was bedeutet das?
Es gab ja mit den „Craft“-Brauereien eine Gegenbewegung. Und ich find’ es positiv, wenn man in eine Stadt kommt und es dort ein eigenes Bier gibt. Nur die großen Marken in jeder Stadt, das ist zu schmal.
Eine Ihrer vielen interessanten Ausstellungen galt dem BVB...
Ja, das hat viel Spaß gemacht. Fußball-Sponsoring sah in den 60ern noch ganz anders aus. Die Spieler durften ja noch nichts verdienen, einige arbeiteten in der Brauerei und wurden dort „durchbezahlt“, durften aber während der Arbeit zum Training. Lothar Emmerich zum Beispiel bekam sein Gehalt von der Hansa Brauerei. Der war hier offiziell in der Registratur, aber natürlich meistens beim BVB. Und dass die Verein Freibier bekam, war für die Brauereien selbstverständlich
Sie sind nun Pensionär, müssen nicht mehr neutral sein: Verraten Sie uns endlich Ihr Lieblingsbier?
Boa! (Pause) Ich mag das „DAB“ sehr gern. Das ist einfach, würzig, gradlinig. Ich bin nicht für Schnickschnack, ich mag ein ehrliches Pils.
Heinrich Tappes Nachfolgerin Corinna Schirmer leitet nun das Brauereimuseum
Ein echter Generationswechsel im Brauerei-Museum: Corinna Schirmer ist mit 32 gerade halb so alt wie der scheidende Leiter. Seine Nachfolgerin ist Kulturanthropologin, weder die Stadt noch der Themenbereich sind ihr fremd.
Die Bonnerin kam 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin für ein Forschungsprojekt ans Deutsche Kochbuchmuseum Dortmund. „Nahrungsethnologische Themen“ haben sie bereits als Volontärin im Institut für Landeskunde beim Landschaftsverband Rheinland fasziniert. Ums Thema „Fleischwissen“ kreist ihre Doktorarbeit.
Aus ihrer Freude, nun auch das Feld flüssiger Nahrung „ausstellen und weiter erforschen zu dürfen“, macht Corinna Schirmer keinen Hehl. Sie vernimmt im Ruhrgebiet „nach wie vor einen oft zu vernehmenden Dreiklang ,Kohle-Stahl-Bier‘“. Für sie ein klares Zeichen, „welchen Stellenwert das Brauereiwesen hier noch immer hat“.
Das Museum ist auf der Steigerstr. 16 in Dortmund, der Eintritt ist frei. Öffnungs-Info unter Tel. 0231-8400200