Essen. Der 25. Bond und dazu der letzte der fünf Verfilmungen mit Daniel Craig als „007“. Doch „Keine Zeit zu sterben“ leidet an einer Überlast...
Wie tief muss ein James Bond gesunken sein, um 007 „bloß eine Zahl“ zu nennen? Die Antwort: Der Mann ist Rentner, das genügt. Und jene Nummer, ohne die uns Bond stets undenkbar schien? Vom Geheimdienst Ihrer Majestät längst an jemand anderen vergeben, an Bonds denkbar größtes Gegenteil: tiefschwarz und eine Frau.
Aber natürlich ist dieser Anfang nicht das Ende. Allzu lang lässt sich der Pensionär (übrigens auch mit Anfang 50 noch tiptop in Badehosen präsentabel) nicht bitten. Und fehlte nach vier wuchtigen Abenteuern dem Bond Daniel Craigs nicht die wahre Probe? War das nicht alles banal zuvor? In „Casino Royal“ und „Quantum Trost“ kaum mehr als dem Kapitalismus die Fresse zu polieren? Und dann gleich zweifach in „Skyfall“ und „Spectre“ Watschen vornehmlich aus Gründen privater Vendetta zu verteilen?! Nun aber endlich: ein Weltenbrand! Die ganze Menschheit! Und am Steuerknüppel: ein Wahnsinniger!!
Diese Woche kommt der 25. Bond ins Kino: „Keine Zeit zu sterben“
Damit klingt der Plot von „Keine Zeit zu sterben“ tatsächlich wie die guten alten Zeiten, als graumelierte Scheusale wie Hugo Drax („Moonraker“) oder Karl Stromberg („Der Spion, der mich liebte“) ihre darwinistische Allmachtsfantasie in nichts Geringerem als dem Ende der Erdkugel verwirklicht sahen. Aber so einfach (eine Stärke der jüngeren Bond-Bücher und, wie man sehen wird, Schwäche zugleich) ist es eben heute nicht mehr. Denn jene todbringende DNA-Manipulation, vor der Bond diesmal die Welt zu retten hat, stammt: aus der Hexenküche seiner eigenen Firma.
Dort, in London, wo ihn (eine herrliche Szene) nach fünf Jahren Ruhestand nicht mal mehr der Pförtner kennt, entstand „Herakles“. Believe it or not: in der Lage die garstige Veranlagung von Mitgliedern des Verbrechersyndikats „Spectre“ zu erkennen - und nur diese für unser gemütliches Miteinander relativ verzichtbare Spezies in Sekunden an einer grausigen Krankheit verenden zu lassen. Allein: Das Zeug hat sich verselbstständigt...
Eine gute Story wird zugedeckt von vielen Nebensträngen
Hemmungslos hübsche Story also. Was könnte das für ein rasanter Schinken alter Schule sein. Allein: Die zentrale Schwäche der 25. Bond-Verfilmung ist, dass ihre Story durch einen Sturzbach mäandernder Geschichtchen verwässert wird. Früher war Bond kaum mehr als eine sexy Waffe auf zwei Beinen, heute hat er eine Seele. Dass aus Sex bei 007 neuerdings zuverlässig Liebe wird, haben wir mit Daniel Craigs Debüt geschluckt. Nun aber tritt mit der aus dem letzten Film herübergeretteten Therapeutin Madeleine (Léa Seydoux) eine veritable Beziehungskrise auf den Plan.
Dazu die langen Schatten biografischer Verwerfungen, in ewigem Geplapper referiert, wo wir Bond doch von der Walther PPK bis zum Reiseföhn jede Waffe durchgehen ließen, aber doch nie und nimmer das Totquatschen. Tatsächlich geben die Krisen Craig die Möglichkeit, sich eine Tiefe zu erspielen, die kein Bond-Mime vor ihm erreichte. Aber diese große Erzählung hat einen Preis.
In „Keine Zeit zu sterben“ reist James Bond zu seinen eigenen Dämonen
„Keine Zeit zu sterben“ ist für James Bond vor allem ein Trip ins Reich seiner eigenen Dämonen. Mehr hätten wir gern die aus Fleisch und Blut gesehen. Fast eine Stund der (schlicht zu langen 164 Minuten) vergeht, ehe ein Oberschurke ernsthaft mitmischt. Es gibt zwei: Christoph Waltz, der erneut erwartbar, aber doch hübsch maliziös eine letzte Blofeld-Gala gibt. Rami Malek, als Safin einer der jüngsten Gegenspieler in Bonds Vita, ruht sich ein bisschen zu sehr auf einem Spiel aus, das den Wahn unentwegt ins schwere Parfum leiser Ticks und Absenzen taucht.
Die Bilder: fabelhaft, mehr großes Kino lässt sich kaum bekommen. Die Bauten: respektabel, am Ende auf der Insel des Grauens gar famos, eine klare Verbeugung vor der Bond-Architektur, die Ken Adam schuf. Die Musik? Keine gute Idee, Hans Zimmer um Noten zu bitten. Zwar fühlt er den Actionszenen mitunter hübsch den Puls, wirft aber (bei Liebe zu schwerem Blech) mit vorwiegend sinfonischer Konfektionsware die Arbeit eines David Arnold erheblich zurück. Übers ohnehin kitschige Märtyrer-Ende Bonds, gießt Zimmer einen austauschbar seifigen Sound, zu dem auch Tolkiens Zwerge ihre Starkbier-Melancholie pflegen könnten. Wie gut, dass dann doch noch Louis Armstrong „We have all the time..“ singen darf. Wie nicht wenige Momente in diesem Film eine Hommage an den einzigen Bond der den Weg vor den Traualtar wagte, 1969.
Großartige Schauplätze, altbackene Frauenbilder
Die Schauplätze: Gigantisch! Augenfutter von Norwegen bis ins italienische Matera, wo Vesper Lynds Gruft eine Andacht mit Schuss zu bieten hat
Die Unterschurken? Kaum mehr als Parodien, man denkt bei Valdo und Primo tatsächlich an Typen aus „Tim und Struppi“.
Die Damen? Rätselhaft, dass Cary Joji Fukunagas Regie so viel Wert auf einen modernen Bond legt und die Frauen sämtlich mit Stereotypen abfertigt. Selbst als Agentinnen turnen sie vornehmlich sexy herum, andere weinen pausenlos, dritte haben vorn wie hinten Mordsdekolletés, mehr nicht.
Billie Eilishs Titelsong fügt sich in seiner balladesken Brüchigkeit immerhin sicher zu einem Werk, das trotz üppiger Schlachten seine zentralen Kämpfe im Innern der Figuren austrägt.
Als der Film zu Ende ist, sind mindestens drei Aston Martins verschlissen worden; wehmütig denkt man an „Goldfinger“. Der Film ist nicht mies, er ist aber keineswegs exzellent. Er will einfach mehr als das Genre aushält. Apropos: James Bond übrigens sehen wir zum ersten Mal Kindern Frühstück machen. Und weinen. Wer weiß, was noch kommt. Vielleicht hat der nächste 007 Asthma oder eine Lactose-Intoleranz. Er kann, er muss jedenfalls nach diesem radikalen Abschied Craigs ein ganz anderer sein, nur eines sollte diese Doppelnull haben, solange es Kino gibt: Keine Zeit zu sterben.