Herne. Das Archäologiemuseum Herne zeigt originalgetreue Nachbauten – in ursprünglicher Sandstein-Farbe. Mit allem, was man zu Stonehenge wissen muss.
Stonehenge ist hell! Zumindest in Herne. Hier hat Stonehenge nicht das mystische Dunkelgrau aus 4500 Jahren Verwitterung, vielmehr schimmern die Steine seidig in einem jenem schönen Sandsteingelb, das sie im Originalzustand hatten. Vom Original trennen die Nachbauten im Archäologiemuseum in Herne allerdings nicht nur fast 700 Kilometer, sondern auch etliche Tonnen Gewicht: die großen Steine, aus denen die für Stonehenge typischen „Trilithen“ aus zwei Pfeiler- und einem Decksteinen gebaut sind, wiegen bis zu 50 Tonnen – ein Vielfaches vom Gewicht der originalgetreuen, also bis zu sieben Meter hohen Nachbauten aus Styropor und Sand in Herne.
Wie man die Originale rund 2500 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung ohne Lkw aus dem 30 Kilometer entfernten Steinbruch bei Marlborough nach Stonehenge schaffte, gehört zu den vielen Dingen, bei denen auch die „Stonehenge“-Ausstellung in Herne nur Vermutungen anbieten kann. „Wir gehen davon aus, dass man die Steine auf Lastschlitten mit Rollen und Seilen transportiert hab“, sagt Kerstin Schierhold, „und um einen Stein über Berg und Tal zu bewegen, braucht es mindestens 200 Leute, das hat man durch experimentelle Archäologie herausgefunden“. Die promovierte Althistorikerin ist nicht nur Projektleiterin der Stonehenge-Ausstellung, sie ist auch Fachfrau für Großstein-Gräber in ganz Westfalen und staunt darüber, dass die oberen Decksteine mit passgenauen Zapfenverbindungen auf die senkrechten Steine montiert wurden.
„Umgefallener“ Stein wird in Herne wieder aufgerichtet – als Video-Rekonstruktion
Fest steht: Die Errichtung des Monuments hat viele Menschen zusammengebracht. Man weiß allerdings nicht, ob nur eine feste Großgruppe den gesamten Transport erledigt hat – oder ob nur wenige von Anfang bis Ende dabeiwaren und sich jeweils auf Gruppen mit Ortskenntnis verlassen konnten. In Herne zeigt eine Video-Rekonstruktion an einem „umgefallenen“ Megalith-Stein, wie er bei der Errichtung (mutmaßlich) aufgestellt wurde.
Von noch weiter her als die quaderförmigen hellen Sandsteine, nämlich aus dem 240 Kilometer entfernten Preseli-Gebirge in Wales, kamen übrigens die kleineren, aber auch noch vier Tonnen wiegenden dunklen Blausteine, von denen 80 Stück in Stonehenge aufgestellt wurden, halbkreisförmig. Sie wurden später zu einem kompletten Kreis versetzt, und selbstverständlich ist auch hier unklar, warum.
Den Graben hielten die Engländer zunächst für eine Rennbahn der Römer
Überhaupt darf man sich Stonehenge nicht als Monument vorstellen, das plötzlich errichtet wurde und dann Jahrhunderte so blieb, bevor es verfiel. Wir lernen in der Ausstellung, die am Donnerstag anläuft, auch die Vorgeschichte von Stonehenge kennen. Die Gegend war ab etwa 10.000 v. Chr. bei den Jägern und Sammlern der Steinzeit sehr beliebt. Hier gab es Quellen, die dank des Klimawandels nach der Eiszeit nie zufroren – und deshalb auch viel jagdbares Wild anlockten. Zudem gab es hier im Wasser Feuersteine, deren Algenbewuchs dafür sorgte, dass sie einen pinken Farbton annahmen, sobald sie mit Luft in Berührung kamen.
Ob deshalb hier so viele Langhügel-Gräber angelegt wurden? Spekulation. Jedenfalls kamen um 4000 v. Chr. erste Ackerbauern vom europäischen Festland in die Salisbury-Ebene. „Stonehenge“, sagt Kerstin Schierhold, „ist ein Paradebeispiel für den Gestaltungswillen der sesshaft gewordenen Menschen.“ Sie bauen zunächst „Grabenwerke“, Auch Stonehenge ist von einem riesigen Graben-und-Wall-Rechteck auf einer Fläche von 100 x 2700 Metern umgeben, dem „Großen Cursus“ – früher hielten die Briten das selbstverständlich für eine Pferderennbahn der Römer, aber heute weiß man, dass er drei Jahrtausende früher errichtet wurde. Wozu? Auch da kann man in Herne nur Vermutungen anbringen...
Von Promi-Gräbern, Jeremy Dellers Stonhenge-Hüpfburg und Henry Moores Drucken
Ab 2900 v. Chr. entstehen dann „Henges“, das sind kreisrunde oder ovale Wälle mit innenliegendem Graben. Die Ein- und Ausgänge wurden oft so errichtet, dass zur exakt Sommer- oder Winter-Sonnenwende die Sonne gerade hereinschien. Das gilt auch für die Sichtachse von Stonehenge, das auch nur an diesen beiden Tagen auf der Innenseite zugänglich ist. „Für die bäuerlichen Kulturen der ausgehenden Jungsteinzeit und der beginnenden Bronzezeit waren Sonnen- und Mondstände natürlich von existenzieller Wichtigkeit“, sagt Althistorikerin Schierhold.
Auch das „Nachleben“ von Stonehenge beleuchtet die Ausstellung. Eine Videoprojektion zeigt den Wandel der Landschaft über die Jahrtausende. Ab 2200 v. Chr. lässt sich die Prominenz der Bronzezeit in Grabhügeln mit Blick auf Stonehenge bestatten, ihre Hinterbliebenen ritzten Symbole jener Dolche und Beile in die Steine, die den Verblichenen ins Grab mitgegeben wurden. Bis zum ersten Stonehenge-Reiseführer (1823, da lebte Goethe noch!) ist es nur ein Katzensprung, und Stonehenge auf Tassen, Tellern und Dominostein-Spielen gehören genauso zur Nachwirkung wie der Stonehenge-Nachbau in Originalgröße als Hüpfburg, wie ihn der Turner-Preisträgers Jeremy Deller in Auftrag gab („das dümmste Kunstwerk aller Zeiten“, wie er selbst fand), oder die Stonehenge-Ansichten die Henry Moore in der Steindruck-Technik der Lithografie gestaltete. Hier hätten wir dann das Ende jenes „Fernrohrs in die Geschichte“, das Doreen Mölders als Leiterin des Archäologie-Museums in der Ausstellung sieht.
„Stonehenge“. LWL-Museum für Archäologie in 44623 Herne, Europaplatz 1. 23. September 2021-25. September 2022. Geöffnet: Di,-Fr 9-17 Uhr (Do bis 19 Uhr), Sa/So 11-18 Uhr. 24., 25. und 31. Dezember sowie 1. Januar geschlossen. Freier Eintritt am 3. Oktober, 7. November und 5. Dezember. Eintritt: 7 Euro (in Gruppen ab 16 Personen 6 Euro), erm. 3,50 Euro. Für Kinder und Jugendliche bis 17: Eintritt frei. Es gibt Gruppen- und Online-Führungen sowie ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm: https://www.sonderausstellung-herne.lwl.org/de/