Essen. Autorin Eva Menasse hat mit „Dunkelblum“ einen düsteren Kleinstadt-Kosmos geschaffen, gebaut auf dem Fundament der ebenso düsteren Historie.

Oben, „auf der Rotensteinwiese“, da ist „einer ausgegraben worden“. Bald schon fahren sie vor, die Dunkelblumer, fragen, „wer da überhaupt gegraben hätte und warum?“. Denn nur das Ruhenlassen, darin sind die Dunkelblumer sich ausnahmsweise einig, ist Garant für ein friedliches Zusammenleben.

Die Österreicherin Eva Menasse hat mit „Dunkelblum“ einen düsteren Kleinstadt-Kosmos geschaffen, gebaut auf dem Fundament der ebenso düsteren Historie: Beim Massaker von Rechnitz wurden im März 1945 vermutlich 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter nahe Schloss Rechnitz im Burgenland ermordet. Das Massengrab wurde bis heute nicht gefunden.

„Seither ist der Ortskern von Dunkelblum baulich und atmosphärisch zweigeteilt“

Das Schloss geriet in den letzten Kriegstagen in Brand und wurde abgerissen, „und eine gigantische Menge an bestem Baugrund wurde frei, in einer vormals unerreichbaren, zentralen Lage“, heißt es bei Eva Menasse: „Seither ist der Ortskern von Dunkelblum baulich und atmosphärisch zweigeteilt: in die jahrhundertealte, bäuerlich-verwinkelte Hälfte, und in die andere, schauerlich zweckmäßige, Blech und Silikon, praktisch und abwaschbar, so man damals, zur Zeit des Wiederaufbaus, auch innerlich gern gewesen wäre“.

Ein Geflecht von Geschichten, Schicksalen, legt Eva Menasse über das Städtchen. Dass der Kaufmann Antal Grün jüdische Wurzeln hat und die gerade verstorbene Lowetz-Mutter eine von den „Drüberen“ war, dass die Malnitz-Tochter Flocke erstaunliche mimische Ähnlichkeiten mit dem jungen Graun aufweist, das blättert Eva Menasse in aller Seelenruhe auf. Flockes Mutter Leonore war „die Königin von Dunkelblum“, „sie eine Landschönheit zu nennen, wäre eine Untertreibung gewesen“. Sie ist es, die die Künstler und Intellektuellen aus der Stadt in ihren Gasthof lockt, für ein klein wenig Tourismus sorgt.

Ihre Tochter aber, die es in die Stadt zog und dann wieder zurück, sie mischt Dunkelblum so richtig auf: Hilft den langhaarigen Studenten, die den jüdischen Friedhof vom wuchernden Grün befreien, sucht gemeinsam mit dem Lowetz-Sohn die Aufzeichnungen, die seine Mutter für eine Ortschronik zusammentrug. Die aber bleiben verschwunden, ebenso wie die Gräber.

Wie viel Vergangenheit in der Gegenwart steckt, dass zeigt Eva Menasse

Wie viel Vergangenheit in der Gegenwart steckt, dass zeigt Eva Menasse in einem Wimmelbild voller guter, böser, trinkender, stotternder, hoffender Frauen und Männer, die „der Horka“ heißen oder „die Faludi-Bauern“. In ihrem Dialekt klingen die bizarrsten Verbrechen ebenso wie die abstrusesten Anschuldigungen noch irgendwie harmlos – und verlieren sich in den kantigen Abgründen der Sprache wie von selbst. Doch nicht nur die Malnitz-Tochter Flocke, auch der Lowetz-Sohn will das Fragen partout nicht sein lassen; und so wühlt und rüttelt Eva Menasse weiter in den verzweigten Familiengeschichten, dass es eine dunkle Wonne ist.

Am Ende aber gibt es gar kein richtiges Ende, sondern ein Glossar, von altvaterisch bis Zwetschkenfleck. Und die „lokale Schicksalsbestie“ ist nicht etwa besiegt, sondern nur in den nächsten „Dornröschenschlaf“ gefallen. Dunkelblum ist überall, nein: wird überall gewesen sein, irgendwann.

Eva Menasse: Dunkelblum. Kiepenheuer & Witsch, 528 S., 25 €