Düsseldorf. Zur ersten „AR Biennale“ lädt das NRW Forum in Düsseldorf: Die „Augmented Reality“-Schau zeigt digitale Kunstwerke, die die Realität verfremden.

Der Blick durch die Smartphone-Kamera zeigt das Museumsgebäude, den Fahrradständer davor und den Mann, der grad vorbeigeht. Daneben aber stehen grüne, wie hingekritzelt wirkende Palmen am Weg – und im Himmel schwebt ein riesiger Ballon-Wurm. „Genius Loci“ hat Theo Triantafyllidis sein Werk genannt, als „Geist des Ortes“ schwebt der Wurm über dem Eingang des NRW Forums in Düsseldorf; sichtbar nur für jene, die sich die App zur „AR Biennale“ geladen und das entsprechende Hinweisschild eingescannt haben.

„AR“, das steht für „augmented reality“ – erweiterte Realität. Die Werke der 19 internationalen Künstlerinnen, Künstler oder Kollektive eint, dass sie auf digitalem Wege die Realität verfremden: Ich sehe was, was ihr nicht seht – dieses alte Kinderspiel bewahrheitet sich hier. Und hätte nicht Alain Bieber, Chef des NRW Forums, selbst schon in der Pressekonferenz das Wort „Pokémon“ in den Mund genommen, dann wären wir spätestens bei den „Fairies“, den Feen, die winzig klein vor unseren Augen herumtanzen, auf diesen nahe liegenden Vergleich gekommen. Die tanzenden Feen sind einer von zwei Beiträgen des Balletts am Rhein, hüpfen in der Luft oder auch auf der ausgestreckten eigenen Hand, was für ein schönes Bild! Das wir für die Ewigkeit (und alle tausend Facebook-Freunde) festhalten können. Über ein Foto-Symbol in der App lassen sich die Bilder speichern.

Wir sehen im Düsseldorfer Hofgarten Blüten, die wir selbst wischend erschaffen

Bilder nicht nur von Feen, sondern vielleicht auch von den Gesprächspartnern auf Parkbänken, die die amerikanische Künstlerin Lauren Lee McCarthy zusammenbringen möchte. „Gut, dass du gefragt hast“ heißt ihr Werk, das sinnige Sätze über acht Bänken im Hofgarten Sätze aufblitzen lässt: „Dieser Platz ist für Menschen, die jemanden vermissen“ etwa – oder für Menschen, „die die Stille genießen“, oder für Menschen, die „gehört werden sollten“. Wer sich von ihren Worten berührt fühlt, so ihre Idee, vielleicht gar mit einem Fremden darüber ins Gespräch kommt, soll ein Foto von sich machen (lassen).

Ebenfalls für die Ewigkeit, „unsterblich“, sollen jene Blüten sein, die wir mit wenigen Wisch-Bewegungen auf dem Bildschirm von Lola Zoidos Werk entstehen lassen. Die Spanierin, Jahrgang 1994, möchte uns allerdings auf das Gegenteil hinweisen, die Vergänglichkeit aller Naturschönheit. Ein gewisses Sendungsbewusstsein hat diese oft unterhaltsame, spielerische und junge Kunst also doch, auch wenn sie ansonsten auf vielerlei Weise eine Zäsur in der Kunstgeschichte markiert. Allein durch den Umstand, dass diese Art von Digital-Kunst weder Kunstdieben zum Opfer fallen kann noch teuer gelagert oder klimatisch geschützt werden muss. Obschon freilich andere Arten von Digital-Werken heute längst handelbar sind – dank NFT. Das ist die Abkürzung für „non-fungible tokens“ (nicht austauschbare Zeichen), die ein digitales Original unverwechselbar machen. Und so werden auch auf dem virtuellen Kunstmarkt längst viele Millionen umgeschlagen.

In Essen bevölkert der Amerikaner David Lobser den Burgplatz mit knallbunten Wesen

Umso lustiger ist es, dass inmitten dieser schönen neuen Welt eines der Werke von einem ganz altmodischen Kunstraub erzählt: Tim Berresheims virtuelle „Einbrecherin, die auf dem Weg zum Store Sta verhaftet wurde“ sieht aus wie mit Postkarten behängt – sie sei, so die Story, in den Düsseldorfer Kunstpalast eingebrochen und habe dort das Werk eines norwegischen Künstlers stehlen wollen.

Die Düsseldorfer Biennale hat Ableger in Köln und auch in Essen: Auf dem Essener Burgplatz hat der Amerikaner David Lobser „FollowARs“ geschaffen: Social-Media-Follower, die als kniende Wesen mit knallbunten Gesichtern uns Betrachter geradezu anzubeten scheinen. Und die Chinesin MengXuan Sun hat ihren eigenen, silbern schillernden Avatar auf den Hans-Toussaint-Platz geschickt: „Bewässerung“ heißt das Werk, das irritierenderweise von rollenden Köpfen begleitet wird, die wie riesige silberne Tropfen am Boden perlen. Achtung, fast wären sie jetzt vom Auto überfahren worden! – Nur kann der Fahrer, ach ja, sie gar nicht sehen.