Mülheim. Philipp Preuss inszeniert das Drama Open Air für die „Weißen Nächte“ des Theaters an der Ruhr.

In Philipp Preuss‘ Open-Air-Inszenierung von Anton Tschechows Drama „Onkel Wanja“, mit der das Theater an der Ruhr in das Festival „Weiße Nächte“ startete, ist Landarzt Astrow - nein, nicht der Held, den gibt es bei Tschechow nicht, wohl aber der wahre Protagonist. „Die Wälder verschwinden, die Flüsse trocknen aus, die Tierwelt stirbt, das Klima verschlechtert sich und die Erde wird immer ärmer und hässlicher“, konstatiert er. Astrow sieht einen Baum und muss an die Zukunft denken. Seinen Lebensinhalt sieht er darin, durch Neupflanzungen Wälder zu erhalten und so noch in tausend Jahren das Leben der Menschen zu beeinflussen.

Es ist erstaunlich, dass Tschechow solch pointierte Sätze und kristallklaren Gedanken bereits vor 125 Jahren formulierte. Entsprechend muss Preuss die handelnden Personen gar nicht aus ihrer Zeit nehmen (Kostüme: Eva Karobath). Damals stand die russische Gesellschaft vor einem Umbruch mit ungewissen Folgen; heute, angesichts der Klimakatastrophe, sind Änderungen im gesellschaftlichen Denken und Handeln dringender denn je geboten.

Mit Kopfhörern im Raffelbergpark

Mit Kopfhörern bewehrt sitzt das Publikum im Raffelberg-Park, blickt auf das denkmalgeschützte ehemalige Solbad mit seiner Freitreppe, dem langen Balkon, den zahlreichen Zimmern und Fenstern. Hier leben sie, hier treffen sie aufeinander. Der desillusionierte, dem Suff verfallene Astrow. Iwan Petrowitsch Wojnitzkij, genannt Wanja, der mit seiner Nichte Sonja das Gut seiner verstorbenen Schwester bewirtschaftet. Und damit die wissenschaftliche Karriere seines Schwagers Serebjakow finanziert, eines emeritierten Literaturprofessors. Der ist mit seiner neuen jungen Frau Jelena vor dem kostspieligen Stadtleben aufs Gut geflohen. Wanja spürt nicht nur, wie unglücklich Jelena - die sich zu Astrow hingezogen fühlt, in den wiederum Sonja verliebt ist - in der Ehe ist; er muss auch erkennen, dass Serebjakow ein akademischer Schaumschläger ohne jede halbwegs sinnvolle Publikation ist, dass er jahrelang einen hypochondrischen Blender unterstützt hat. Als der Schwager auch noch den Verkauf des Gutes vorschlägt, um in der Stadt standesgemäß leben zu können, rebelliert Wanja kurz auf. Um wenig später wieder einzulenken.

Doch das bedeutet keine Versöhnung, vielmehr die Flucht vor dem Konflikt, den Rückzug in Fatalismus und Resignation. Was für Wanja gilt, kennzeichnet auch alle anderen. Sie sind erfüllt von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, wissen um die Erforderlichkeit von Änderungen, doch weil sie sich nicht vorstellen können, was konkret anders werden müsste, weil sie die vielleicht gravierenden Folgen fürchten, verharren sie lieber in ihrer bisherigen Existenz. „Es bleibt alles beim Alten“.

Es wird immer dunkler

Dass der Zuschauer das Geschehen über Kopfhörer verfolgt, ist über weite Strecken ein Glücksgriff. Wo bei zunehmender Dunkelheit die 30, 40 oder mehr Meter entfernten Ensemblemitglieder als Individuen kaum auszumachen sind, wo das immer gleichstarke Mono-Funksignal auch eine räumliche Ortung von Aussage und handelnder Figur (bis auf wenige Großprojektionen auf der Fassade) fast unmöglich macht, entfalten die visionären Zeilen aus Tschechows Drama eine umso stärkere Wirkung. Dass Preuss einige Szenen der empfundenen Ausweglosigkeit, der Kraftlosigkeit zu Veränderungen gleichsam in eine Wiederholungsschleife stellt, sie zwei-, dreimal repetiert, führt dabei nur zu einer Überdeutlichkeit, die den packenden Abend unnötig auf zweieinhalb Stunden dehnt.

Termine: 19., 20., 21., 26., 27. u. 28.8. (21 Uhr)