Bayreuth. Die „Walküre“ in Bayreuth mit reichlich Farbspritzern von Hermann Nitsch enttäuscht bei der Musik – am Pult wie in der unausgewogenen Besetzung.
Ganz auf den im vergangenen Jahr ausgefallenen und auf 2022 verschobenen neuen „Ring des Nibelungen“ wollte man bei den 109. Bayreuther Festspielen denn doch nicht verzichten. Und so verknüpfte man nach dem Auftakt mit dem neuen „Fliegenden Holländer“ eine szenisch drapierte Produktion der „Walküre“ mit drei multimedialen „Annäherungen“ zu den restlichen Teilen der Tetralogie, die am Vormittag und in den Pausen der kompletten „Walküren“-Aufführungen an den zyklischen Charakter des vierteiligen „Rings“ erinnern sollten. Darunter ein virtueller Drachenkampf Siegfrieds, inszeniert von Jay Scheib, dem Regisseur des nächsten Bayreuther „Parsifal“.
Mehr Buhs für Pietari Inkinen am Pult als für „Provokateur“ Hermann Nitsch
Mit der im kommenden Jahr anstehenden Inszenierung von Valentin Schwarz hat das Ganze nichts zu tun. Anders die Besetzung, die einen musikalischen Vorgeschmack auf das Großereignis bietet. Da richtet sich der Blick natürlich auf den Bayreuther Debütanten Pietari Inkinen am Dirigentenpult, der den „Ring“ zwar schon in Australien und Palermo geleitet hat, als Wagner-Dirigent in Deutschland jedoch noch nicht sonderlich aufgefallen ist. In der Generalprobe entfaltete er einen recht ausgewogenen Klang, irritierte aber durch extrem gedehnte Tempi und entsprechende Spannungseinbrüche, was ihm in der Premiere mehr Buh-Rufe einbrachte als dem szenischen Provokateur Hermann Nitsch.
Lise Davidsen und Klaus Florian Vogt sind ein unausgewogenes Wälsungenpaar
Was die groß angekündigte Besetzung des Wotan mit dem Star-Bassisten Martin Groissböck angeht, musste unmittelbar nach der Generalprobe umdisponiert werden. Groissböck bestach zwar durch eine brillante Textverständlichkeit und sonore Substanz in den Tiefen. Insgesamt liegt die Partie allerdings zu hoch für seine Stimme, so dass er im Verlauf des Abends immer angestrengter wirkte. Groissböck gab die Rolle zurück und wird, zumindest in diesem Jahr, durch Tomasz Konieczny ersetzt, dem es nicht an internationalen Erfahrungen mit nahezu allen Wagner-Rollen seines Stimmfachs mangelt.
Mit Lise Davidsen und Klaus Florian Vogt ist das Wälsungenpaar zwar prominent, aber auch unausgewogen besetzt. Vogt mit seiner lyrisch-weichen Stimme kann als Siegmund nicht überzeugen und wird von der gewaltigen Stimme Lise Davidsens gnadenlos überrollt. Eine für die Sieglinde fast überdimensionierte Stimme, mit der die Sängerin auch die Brünnhilde von Iréne Theorin konditionell hinter sich lässt.
Zehn Assistenten färben die Bühne erst in Gelb und Grün, dann in Rot ein
Die Sänger, allesamt priesterlich schwarz gekleidet, stehen diesmal wie in einem Oratorium an der Bühnenrampe. Starr verharrend, was ihnen angesichts der dramatischen Konvulsionen der Musik und Handlung nicht leicht fällt. Optisch färben zehn Assistenten des Wiener „Blut“- und Aktionskünstlers“ Hermann Nitsch mit einer ganzen Batterie an Farbeimern die Bühne in alle Regenbogenfarben ein. Ein Teil der weiß gekleideten Maler lässt die Farben im Hintergrund von oben senkrecht abfließen, ein Teil klatscht die Farbe eimerweise auf den Boden. Mit dezenten Gelb- oder Grüntönen beginnend, dann mit Blau, ab und zu auch schwarz vermischt, bevor am Ende Nitschs Lieblingsfarbe die gesamte Bühne in ein Rotes Meer verwandelt.
Kein Skandal – aber Längen und Justier-Bedarf bei Dirigat und Besetzung
Beziehungen zur Stimmungslage der Figuren lassen sich bei der Farbwahl durchaus erahnen. Skandalös wirkt das alles längst nicht mehr, bringt aber mehr Leben auf die Bühne als die Klänge aus dem Orchestergraben. Das Problem: Die „Walküre“ hält drei lange Akte bereit – und was im ersten Aufzug noch spannend wirkt, reicht substanziell nicht unbedingt aus, um zwei weitere Akte zu tragen.
Immerhin gibt das Experiment einen Vorgeschmack auf die musikalische Statur des kommenden „Rings“, wobei in Sachen Dirigat und Besetzung noch einige Stellschrauben nachjustiert werden sollten.