Essen. Mehr als nur das Buch zum Film: Quentin Tarantinos Roman „Es war einmal in Hollywood“ über das Schlechte im Menschen ist mit Feuer geschrieben.
Als die heftigen Ereignisse in Quentin Tarantinos Debütroman schon ordentlich Fahrt aufgenommen haben, fällt ein entscheidender Satz: „Die Einzigen, die keinen Spaß am Reiten haben, sind die Cowboys.“ Der Mittvierziger Rick Dalton hat es als Cowboydarsteller zu einigem Ruhm gebracht. Nun hat er nicht nur am Reiten keinen Spaß mehr. Stets war er der Schurke, der am Ende verliert. Nachdem er fünf Jahre lang aufgestiegen war, stagnierte es ein Jahrzehnt lang; nun geht es ziemlich steil nach unten. Was vor allem bleibt, ist die Selbstmedikation mit Alkohol. Er hat die beste Zeit hinter sich und verschafft sich nun eine gute Zeit mit Whiskey Sour, den er aus Bierkrügen zu sich nimmt.
Immerhin bewohnt er noch ein ansehnliches Anwesen mit Pool im Cielo Drive in den Hügeln von Los Angeles. Hier war Terry Melcher, der Produzent der Byrds, sein Nachbar – ehe er an Roman Polanski verkaufte, den Rockstar des neuen Films. Der residiert nun nebenan mit der atemberaubenden Blondine Sharon Tate.
Charles Manson und Sharon Tate
Wir sind am Ende der sechziger Jahre. Rick Dalton hatte noch ein kurzes Karriereaufflackern mit Spaghettiwestern in Italien gehabt, doch jetzt scheint der Abstieg unaufhaltsam. Das mit der Trinkerei geht auch manchem Kollegen so, weil viele von ihnen im Zweiten Weltkrieg oder in Korea waren und Dinge gesehen haben, die sie anders nicht mehr loswerden.
Ricks „Mischung aus Selbstverachtung, Selbstmitleid und Langeweile“ hat andere Gründe. Just in so einem Moment verwechselt Charles Manson irgendwas. Der fühlt sich auf einer ehemaligen Filmranch spirituell erweckt, war schon im Knast und hat nun eine vornehmlich aus willigen jungen Frauen bestehende Family von sich abhängig gemacht. Eigentlich wollte Manson seine zu allem bereiten Untertanen zu Terry Melcher schicken, von dem er sich einen Plattenvertrag erhofft hatte. Doch der wohnt nicht mehr hier. Die grausame Geschichte der Sharon Tate ist bekannt …
Natürlich denkt man an Leonardo DiCaprio und Brad Pitt
Weil er das darf und kann, um einen anderen, aber denkbaren Lauf der Geschichte zu fantasieren, lässt Quentin Tarantino seinen Rick Dalton ihr Leben retten, indem er noch einmal den Flammenwerfer rausholt, mit dem er in seinem besten Film „hundertfünfzig Nazis gekillt hat“. Er fackelt eines der eingedrungenen Hippiemädchen ab. Das machte ihn zum Helden und wieder für Rollen interessant.
Stets an seiner Seite ist Cliff Booth, sein anders gebeuteltes Stuntdouble, das nun nur noch sein treuer Fahrer und Laufbursche ist. Er hat im Krieg unter den Japanern so aufgeräumt wie kein anderer, worauf er dann mit seinem Heldenstatus auch daheim ungestraft Waffen einsetzen darf.
Tarantino schreibt feurige – die Übersetzung ist es auch
Natürlich schieben sich bei der Romanlektüre die Gesichter von Leonardo DiCaprio und Brad Pitt als Darsteller von Rick und Cliff in „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) vors innere Auge. Doch ist Tarantinos erster Roman viel mehr als nur das Buch zum Film. Er schwingt sich auf zum Buch über den Hollywood-Film mit dem Western als Schwerpunkt. In 25 lose miteinander verzahnten Kapiteln geht es um Männerfreundschaft und das, was ihr im Wege steht, um Rache, Stil, Wiedergutmachung, das ewig Weibliche und andere Mythen in den Filmen mit den rauchenden Colts.
Es gibt feurig geschriebene – und von Stephan Kleiner und Thomas Melle ebenso übertragene – neue Episoden darüber, wie die einmal „Boss Angeles“ genannte Filmindustrie das Schlechte im Menschen hervorkehrt. Es gibt Insiderblicke zu den Sets und Settings hinter den Kulissen, Abschweifungen und Anspielungen, Querverweise und Exkursionen, die sich fast zu einer Kulturgeschichte des Genres addieren. Virtuos jongliert Tarantino mit den historischen Tatbeständen, bis seine andere Wahrheit errichtet ist. Dabei unternimmt er auch Ausflüge zum europäischen und japanischen Film jenseits des amerikanischen Sentimentalisierens. Er verwirbelt Fakten und Fiktionen, bis er Hollywood und seine Western so ad absurdum geführt hat, dass der Platz für etwas Neues freigeräumt ist. Es ist ein Höllenspaß, durch diesen Roman zu reiten und dem genialischen Regisseur auf seinen Abwegen zu folgen. Da geht es dem Leser wie Sharon Tate, die von Roman Polanski gelernt hat, dass Filme doch Kunst sein können.
Quentin Tarantino: Es war einmal in Hollywood. Roman. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Thomas Melle. Kiepenheuer & Witsch. 416 S., 25 Euro.