Essen. Mit ihrem ersten Theaterstück „Tragödienbastard“ gewann Ewe Benbenek (36) den Mülheimer Dramatikpreis. Ein Gespräch über Migration und Mythen.
Etwas Besonderes zu sein, das kennt Ewe Benbenek womöglich schon. Die 36-Jährige gewann mit ihrem ersten Drama „Tragödienbastard“ den Preis der Mülheimer Theatertage „Stücke“: Mit Britta Heidemann sprach sie über ihre unwahrscheinliche Karriere und die Kunst des Sichdurchboxens .
Frau Benbenek, Sie haben sich mit ihrem Debüt gegen Werke von Sibylle Berg und Rainald Goetz durchgesetzt – wie haben Sie sich gefühlt in dem Moment?
Ewe Benbenek: Ich war natürlich überrascht! Und ich habe mich sehr gefreut, nicht nur für mich persönlich. Sondern auch, weil über den Text diskutiert wurde, über eine sprachliche Suche - und über Themen, die nicht nur mich betreffen, sondern sehr viele Menschen.
Sie sind im Alter von vier Jahren nach Deutschland gekommen; wie und wo sind Sie aufgewachsen?
Ich bin Ende der Achtziger Jahre nach Deutschland gekommen. Meine Eltern waren schon in Polen Arbeiter und haben auch in Deutschland in prekären Verhältnissen gearbeitet. Mein Vater war zunächst Hausmeister. Meine Mutter hat Ernte gemacht, ich kenne noch die Reihenfolge: Spargel und Erdbeeren, dann Blaubeeren, später Äpfel. Wir haben im Niemandsland zwischen Bremen und Osnabrück gelebt, in Wildeshausen, das war eine der vielen Kleinstädte dort.
Sie haben Abitur gemacht, studiert; wie haben Sie das geschafft?
Mir wird jetzt erst rückblickend vieles klar. Ich habe mich eben durchgeboxt. Eine Biografie wie meine ist selten, das ist statisch einfach so – wegen der Migrationsgeschichte, aber auch wegen der Klassenkonstellation. Aber warum sind diese Biografien selten? Muss das so sein? Müssen unsere Förderungs- und Bildungsinstitutionen nicht anders gestaltet sein?
„Ich habe nur ein einziges Mal eine „Eins“ bekommen in einem Aufsatz“
Was könnte man ändern? Was hat es Ihnen persönlich besonders schwer gemacht?
Es muss ein Bewusstsein geben für die Klassenunterschiede. Lehrer müssten sensibilisiert werden. Bei mir war es so, dass ich von Anfang an eine besondere Beziehung zu Sprache hatte. Aber bis hin zur Abiturprüfung stand unter allen meinen Arbeiten: Toller Aufsatz, aber sprachliche Mängel. Ich habe mich gefragt, warum komme ich aus einer bestimmten Note nie raus? Ich habe nur ein einziges Mal eine „Eins“ bekommen in einem Aufsatz. Meine Eltern hatten großen Respekt vor dem System und den Lehrern geglaubt und eher Druck auf mich ausgeübt. Das ist übrigens auch keine Individualgeschichte, sondern typisch für viele Eltern mit migrantischem Hintergrund.
Trotzdem haben Sie nach dem Abitur ein Studium begonnen.
Ich war tatsächlich sehr erschöpft damals. Viele in meinem Jahrgang sind erstmal für ein Jahr auf Reisen gegangen, nach Australien etwa. Von meinen Eltern gab es Druck, eine Ausbildung anzufangen. Zum Glück hatte ich einen Protestmoment und dachte, nein, ich verdiene auch eine Pause wie alle anderen. Ich hatte im Sommer gearbeitet, auf dem Blaubeerhof. Da hatte ich mehrere tausend Euro verdient und bin damit nach Warschau gefahren und habe mich da erstmal so langehangelt. Am Ende habe ich für eine Zeitung gearbeitet. Von einem Redakteur dort habe ich den Tipp bekommen, an der Viadrina Frankfurt/Oder Kulturwissenschaften zu studieren, weil darin alle Geisteswissenschaften vereint seien. Damals gab es dort ein Drittel polnische Studierende. Als Präsidentin Gesine Schwan damals uns Erstsemester begrüßte, war dies das erste Mal, dass ich als Mitglied der polnischen Community, die in Deutschland aufgewachsen ist, direkt angesprochen und aufgewertet wurde.
Was hat Sie dann aus dem Elfenbeinturm der akademischen Karriere herausgeholt?
Dass ich ein Theaterstück schreibe, war nicht so geplant, aber es war auch nichts Beiläufiges. Ich habe irgendwann einen Blick dafür bekommen, dass die Texte, die ich in meiner Freizeit schreibe, vielleicht einen literarischen Wert haben. Meine Stelle an der Universität Hamburg lief 2019 aus und anstatt mich auf neue Stellen zu bewerben, habe ich Texte bei Wettbewerben eingeschickt – und bin für den Retzhofer Dramapreis 2019 nominiert worden. Den habe ich zwar nicht gewonnen, aber daraus ergab sich letztlich die Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Wien und die Uraufführung von „Tragödienbastard“.
Es fällt auf, wie häufig Sie im Stück darüber reflektieren, ob und wie man als Migrantin über sich und seine Geschichte spricht.
Die künstlerische und wissenschaftliche Debatte beschäftigt sich schon lange mit dem Thema. Entweder muss ein migrantische Geschichte als Opfergeschichte erzählt werden oder als heroische Aufstiegsgeschichte. Es ist gut vermarktbar als Position, wenn man so etwas im Spielplan hat. Ich wollte keine Lösungen präsentieren, sondern die Probleme eher ausstellen.
„Meine Eltern haben lange nicht verstanden, was ich eigentlich mache“
Können Sie mir Ihren Eltern über Ihre Arbeit sprechen?
Meine Eltern haben das Stück gesehen, sie sind interessanterweise das richtige Publikum für das Stück. Für sie war es allein schon Wahnsinn, dass auf einer deutschen Bühne auch Polnisch gesprochen wird. Und das Stück hat ja nicht nur eine intellektuelle Ebene, sondern transportiert auch ein Gefühl. Aber mein Verhältnis zu meinen Eltern ist durchaus gebrochen, so wie oft in postmigrantischen Familien. Ich glaube, dass sie lange nicht verstanden haben, was ich eigentlich mache.
Was verändert der Preis für Sie?
Ich hatte bisher nicht gedacht, dass ich allein vom Autorinnensein leben könnte; als zweites Standbein unterrichte ich Deutsch als Fremdsprache. Ich habe bislang weder einen Verlag noch eine Agentur. Der Dramatikpreis verändert sehr vieles! Jetzt denke ich erstmals, dass ich das Schreiben vielleicht doch zu meinem Hauptberuf machen könnte. Im Moment lebe ich von Arbeitsstipendien, die ich bekommen habe.
Woran arbeiten Sie zurzeit?
An einem Theaterstück mit dem Titel „Juices“ – es geht um Flüssigkeiten. Etwa solche, die in meiner Biografie wichtig sind. Mich interessiert: Sind Flüssigkeiten mehr als ihre chemischen Zusammensetzungen, haben Sie auch eine soziale oder gesellschaftspolitische Dimension? Es geht um Stimmen aus meiner Generation und aus der Generation meiner Mutter, in der viele als Reinigungsfachkraft gearbeitet haben. Ich frage mich: Wie ist das Modell der Gastarbeiterschaft entstanden? Welche Lebensgeschichten wurden da verpasst?