Bonn. Schlager, Marsch, Protestsong, Ideologie und Rebellion. In „Hits und Hymnen“ spiegelt Bonns Haus der Geschichte unsere Musik-Begleiter seit ‘45

Die Überschrift könnte man für ein Duo zweier Unversöhnlichkeiten halten. Die Hymne: das Staatstragende, Unerschütterliche. Dagegen der Hit, wie der Name schon sagt ein kurzer heftiger Treffer – tanztauglich, aber doch nicht weltbewegend, geschichtsschreibend gar?

Zwar trennt die jüngste, nun endlich begehbare Sonderschau im Haus der Geschichte auf den ersten Blick „Hits und Hymnen“, schallernde Schnittmengen aber wird jeder Besucher entdecken. War Heintjes „Mama“ denn nicht auch tränendrückende Hymne auf geliebte, im Krieg gebliebene Söhne („Du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen“)? Ließ „Grün ist die Heide“ (Kinobesucher: 17 Millionen!) nach sechs Jahren tabuisiertem Patriotismus’ nicht wieder Stolz sprießen? Die Melodie des Titelhits schrieb mit Karl Blume ein einstiges NSDAP-Mitglied.

Ihn durften die Westdeutschen eher schmettern als ihre Nationalhymne: Auch vom zähen Ringen um deren dritte Strophe erzählt die Schau, ehe sie 1952 galt. International wirkte das es nicht gleich. Noch 1953 lief bei einem US-Besuch Adenauers „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ vom Band. Die DDR hatte da schon lange ihr „Auferstanden aus Ruinen“. Als Wilhelm Pieck „wegen „neuralgischer Schmerzen“ in einer Oktobernacht 1949 wieder mal nicht schlafen kann, schreibt er an den Schriftsteller Johannes R. Becher die Strophenthemen, dann folgt „Überlege Dir einmal diesen Gedanken. Wenn Du einen besseren hast umso besser.“ Wer hätte je einen besseren Gedanken gehabt als ein Präsident?

„Hits und Hymnen“ im Bonner Haus der Geschichte: reichlich Kopfhörer

Die Schau gibt viel auf die Ohren. Kopfhörer überall, was Erinnerungen bei den Älteren auslöst („die ham wer alle weggeschmissen, eigentlich schade!“) und sanften Grusel bei der Jugend. Wie man für „Capri-Fischer“ die BRD- Medaille für Verdienste „um Völkerverständigung und Fremdenverkehr“ erhalten konnte? So war die Zeit.

Die Schau macht Musikgeschichte zur Echo-Kammer von Epoche und Mentalitätswandel. Da trifft Familienministerin Käte Strobel Juliane Werding, da sie mit dem Tod von „Conny Kramer“ Ohrwurm und Drogenberatung vermählt. Da wird quellensatt an eine Zeit erinnert, in der die Angst im Bürgertum um sich greift und ein Sprecher des Berliner Senats 1958 fordert, „Rock’n’ Roll sollte verboten werden.

Der Bogen der Ausstellung reicht von Heintje bis zum Punk

Prophetie? Als die Rolling Stones 1965 auf Berlins Waldbühne musizieren, ist es so, dass die Bestuhlung nach dem Besuch nicht mehr ganz so aussieht wie zuvor, eigentlich ist sie in zentralen Teilen verschwunden. Eine Folge: Spielverbot für die DDR-Entsprechung „The Butlers“. „Das Auftreten Ihrer Kapelle steht im Widerspruch zu unseren moralischen und ethischen Prinzipien“, orgelt Leipzigs Stadtrat. Die historische Genugtuung braucht Zeit: Ein Jahr vor dem Ende des Staates beschert ausgerechnet ein Wessi der DDR das größte Konzert ihrer Geschichte: Bruce Springsteen.

„Hits und Hymnen“ erzählt auch von Tagen, als es niemanden juckte, „Rock ’n’ Roll Forever“ mit trompetenden Männern auf deutschen Panzern zu illustrieren (Günter Noris, Big Band der Bundeswehr, 1978), währen vier Jahre später Nicoles „Ein bisschen Frieden“ mindestens die Juroren Europas entwaffnet. Beim Schlager-Grand-Prix regnet es Punkte, deren Vielzahl ihrem Kleid entsprechen.

Bei all den Märschen, all den gesungenen Seichtigkeiten hat vielleicht kein Hit innerdeutsch mehr Hymnen ausgelöst als jene Eulenspiegelei, mit der Udo Lindenberg 1983 in den „Sonderzug nach Pankow“ stieg. Honecker („Oberindianer, sturer Schrat“) schäumte. Aber das Ende vom Lied barg dann doch einen Hauch Harmonie. Die beiden tauschten Jahre später die Waffen: E-Gitarre gegen Schalmei.

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BESUCH NUR MIT ANMELDUNG:

Nach Monaten der Schließung darf auch das Haus der Geschichte (Willy-Brandt-Allee 14, Bonn) nun wieder besucht werden. Allerdings ist das derzeit nur mit einem online gebuchten Termin möglich.

Der Besuch von „Hits und Hymnen“ (bis 10.10.2021) ist, wie auch die Dauerausstellung, kostenlos. Anmeldungen unter www.hdg.de