Eine Buchhändlerin, eine Autorin und eine Kuratorin sprechen darüber, was in der Krise geholfen hat: von netten Kunden und innerer Gelassenheit.
Sabine Piechaczek: „Das Buch hat gewonnen“
Seit mehr als 40 Jahren bin ich Buchhändlerin. Ein Jahr wie das letzte habe ich noch nie erlebt. Ehrlich: Anfangs habe ich Corona nicht ganz ernst genommen. Und dann hat einen die Realität scheibchenweise eingeholt. Beim ersten Lockdown dachte ich: „Wir machen einen Monat zu, danach ist alles besser.“ Ich hab’ einen Eimer Farbe gekauft, um endlich mal das Büro zu renovieren. Tja, der steht bis heute hier, voll! Wir hatten genug zu tun und ich musste weder Kurzarbeit anmelden noch staatliche Hilfen beantragen. Ich hab’ die ganze Zeit fest daran geglaubt, dass wir da alle miteinander durchkommen. Aber nie habe ich damit gerechnet, dass es so lange dauern wird. Zuversicht haben mir – trotz aller Hürden und Distanzen – unsere Kundinnen und Kunden gegeben. Sie waren treu! Einige Leute haben meine Buchhandlung erst während dieser Zeit wahrgenommen. Was Lesen bewirken kann, das hat diese Zeit wunderbar sichtbar gemacht. Das Buch hat in der Wertschätzung noch gewonnen – auch zum Abtauchen, auch um Neues zu empfinden in einer Zeit, in der so vieles verboten war. Ich kenne Menschen, die haben das Lesen in dieser Krise erst wieder für sich entdeckt.
Und jetzt? Wird hoffentlich bald aus Zuversicht die Normalität, die uns so gefehlt hat: dass Menschen ganz unbefangen in den Laden kommen, sich nicht selbst unter Druck setzen, wegen aller Auflagen und Regelungen jetzt was kaufen zu müssen, bloß bummeln, quatschen – und dass wir wieder proppenvolle Lesungen haben. Wir wollen endlich wieder die kulturelle Begegnungsstätte sein, die unsere Kunden so gern mögen!
Sabine Piechaczek ist Chefin der Buchhandlung Junius in Gelsenkirchen.
Sarah Jäger: „Ein Gefühl der Vorfreude“
Mein erstes Buch, der Jugendroman „Nach vorn, nach Süden“, ist am 10. März 2020 erschienen. Eine Woche später kam der erste Lockdown. Die Buchmesse in Leipzig fand nicht statt, da hätte ich zwei, drei Lesungen gehabt und habe mich darauf gefreut, mein Buch am Rowohlt-Stand zu präsentieren. Im Oktober sollte ich an drei Schulen in Fulda lesen. Während der Fahrt dorthin wurden zwei Lesungen abgesagt, weil Fulda plötzlich Hotspot war, immerhin eine Lesung fand noch statt. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie das ist, so eine Lesereise, dieses Unterwegssein. Danach aber gab es dann nur noch digitale Lesungen. Jetzt ist mein Buch schon ein Jahr raus, aber das Gefühl, Autorin zu sein, das hat sich noch immer nicht so richtig eingestellt.
Gefreut habe ich mich über das Kranichsteiner Jugendliteraturstipendium, das ich vor einigen Wochen erhalten habe. Und am 14. September erscheint mein zweites Buch! Die Arbeit daran hat mich durch die Pandemie begleitet. Das Buch heißt „Die Nacht, so groß wie wir“: Es geht um die Nacht des Abiballs, ums Erwachsenwerden. All die Schülerinnen und Schüler, die ihr Abitur wegen Corona nicht so feiern konnten, die tun mir leid. Das sind so Momente, die kommen nun wirklich nicht wieder.
Was mir in der Krise geholfen hat? Ich bin generell ein Mensch, der nicht so weit in die Zukunft schaut. Das war auch vor Corona schon so. Man weiß doch nie, was alles passieren kann. Für mich ist wesentlich, wie es gerade ist, wie sich das Leben jetzt gerade anfühlt. Gestern habe ich mal in den Kalender geschaut, wann ich denn das neue Buch mit einer kleinen Party feiern könnte. Da war so ein Gefühl des Erstaunens, der Vorfreude: Könnte ja wirklich sein, dass das klappt!
Sarah Jäger ist Autorin aus Essen
Kasia Lorenc: „So viele neue Sachen!“
Ich bin optimistisch eingestellt, und ich glaube, das hat mir in der Corona-Zeit sehr geholfen – Menschen, die gern meckern, hatten ja in dieser Zeit unglaublich viel zu tun, die hatten es wirklich schwer. Unsere Einstellung beeinflusst unsere Sichtweise. Was mich im zurückliegenden Jahr glücklich und zuversichtlich gemacht hat: Wir haben immer behauptet, die Kunstwelt sei flexibel – jetzt waren wir es wirklich mal und haben es irgendwie immer geschafft, etwas zu zeigen. Ich glaube, Kunst und Kultur werden jetzt mehr geschätzt als vor der Pandemie.
Es sind so viele Sachen neu entstanden! Wie man so sagt: Die Türen haben sich geschlossen, aber es haben sich dafür auch sehr viele neue Fenster geöffnet. Glücklich alle Kunstvermittler, die ein Schaufenster hatten. Und was wir für digitale Formate entwickelt haben, Ausstellungsrundgänge, das Museum Folkwang hat einen Podcast entwickelt – ich hoffe doch sehr, dass wir auch in der Neuen Galerie Gladbeck ein bisschen beim Digitalen bleiben können. Wir haben zum Beispiel die Ausstellung von Tim Eitel aufgebaut, während er in Paris festsaß, mit Hilfe von Facetime.
Die Videobegleitung ist kein Ersatz für ein Ausstellungserlebnis. Aber wenn ich eine Dokumentation über New York gesehen habe, heißt dass ja auch nicht, dass ich da nicht mehr hin will; das Digitale kann eine Brücke in die Wirklichkeit.
Ich eröffne am Wochenende in Düsseldorf-Flingern mit einer Kollegin eine kleine Ausstellung, die heißt „Beuys & Girls“, da stellen wir Arbeiten von Magdalena Kita, Johanna Reich und Marleen Rothaus vor, drei Absolventinnen der Akademien in Düsseldorf und Münster. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass vor 100 Jahren nicht nur Beuys geboren wurde, sondern damals auch Frauen das Recht erhielten zu studieren. Aber: der Anteil von jungen Künstlerinnen bei Ausstellungen liegt nur bei 20 Prozent, obwohl die Hälfte aller, die eine Kunsthochschule verlassen, Frauen sind. Deshalb dürfen am Eröffnungstag Männer nur herein, wenn vorher schon vier Frauen da sind, dann sind 20 Prozent Männer da. Wir hoffen, dass diese Einlassregel bei den wenigen Männern, die hineindürfen, etwas im Bewusstsein der Besucher und Besucherinnen bewegt. Mit kleinen Schritten kommen wir nach vorne, ganz sicher.
Kasia Lorenc ist Co-Kuratorin der Neuen Galerie Gladbeck