Essen. Intendantin Barbara Frey stellt ihr erstes Programm der Ruhrtriennale vor: Geschöpft aus dem Geist und Geisterhaften der alten Industriehallen.

Alles neu – und ein bisschen ungewiss. Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey tritt ihre Intendanz der Ruhrtriennale mitten in der Corona-Pandemie an, und so ist das Programm – vom 14. August bis zum 25. September an neun industrie-ikonischen Spielorten in Bochum, Duisburg, Essen und Gladbeck – denn auch ein großes Wagnis im doppelten Sinne.

„Wir sind waaaahnsinnig aufgeregt“ sagt Barbara Frey in ihrem kehligen Schweizer Tonfall. „Der Silberstreif am Horizont ist sichtbar, aber wir müssen demütig bleiben.“ Rund 30 Prozent Auslastung, gemessen an früheren Kartenkontingenten, sind bislang vorgesehen; je nach Pandemielage darf eventuell aufgestockt werden.

Barbara Frey inszeniert Edgar Allan Poes „Untergang des Hauses Usher“

Gleichwohl: „Es ist die Stunde von Frau Frey“, betonte bei der virtuellen Pressekonferenz zur Programmvorstellung Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) – und betonte auch ihre „große Freude“, Barabara Frey als Intendantin zu gewinnen, die als Regisseurin gerade beim Berliner Theatertreffen mit ihrer Wiener Inszenierung „Automatenbüffet“ geladen war.

Wer Barbara Freys Regiekunst im Revier erleben möchte, hat mehrfach Gelegenheit. Ihre Gedanken zu Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ bringt sie auf die Bühne der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck. Die Koproduktion mit dem Burgtheater Wien sei „ein Projekt über Melancholie“, kündigte Barbara Frey an, die Poe als „den Autor der Einsamkeit“ begreift. Mit an Bord der Produktion sind: drei Schauspielerinnen, drei Schauspieler, zwei Musiker – vier Nationen, drei Sprachen. Bereits am Schauspielhaus Zürich war Barbara Freys Inszenierung „Die Toten“ nach Texten von James Joyce zu erleben, nun auch im Revier. Gemeinsam mit Schlagzeuger Fritz Hauser, der über drei Jahre bei der Triennale bleiben wird, gestaltete sie zudem das Soloprogramm mit dem Titel „Geist“ – „Spettro“ im Duisburger Landschaftspark.

So viel Geisterhaftes? Barbara Frey erklärt den großen Themenbogen der Triennale. Bei ihrem Besuch der leeren Industriehallen habe sie die „große Verletzlichkeit“ der Räume gespürt, diese „Hoffnung auf eine Zukunft, die für uns bereits wieder vergangen ist“: „Man kommt in Kontakt zu den Geistern“, sagt Barbara Frey, und: „Diese Themen kommen direkt aus dem Ruhrgebiet.“

Was dem kuratorischen Team – sechs Frauen, drei Männer – ebenfalls auffiel: Die Abwesenheit der Frauen in diesen Industriehallen. Zu spüren ist sie nun etwa in Olga Neuwirths intermedialem Musiktheater „Bählamms Fest“: Schriftstellerin Elfriede Jelinek schrieb das Libretto nach Leonora Carringtons Drama; das junge irische Regie-Duo Dead Centre transportiert das Werk in eine Gegenwart, in der die Grenzen zwischen Realität und Virtualität abhanden zu kommen scheinen.

Lokale Künstlerinnen und Künstler gestalten die „Wege“ zwischen den Spielorten

Die Dramaturginnen Judith Gerstenberg (Tanz und Theater) und Barbara Eckle (Musiktheater und Konzert) rücken bei der Programmvorstellung das Thema Gewalt gegen Frauen sichtlich in den Fokus – ob es nun um den Femizid geht oder um künstlerische Einengungen und die Befreiung daraus..

So zeigt im Dramolett „Der Teich“ von Robert Walser die Regisseurin Gisèle Vienne, die Gewalt der sozialen Norm. „D • I • E“ heißt kryptisch ein Musiktheater, das der Komponist Michael Wertmüller, Maler Albert Oehlen und Schriftsteller Rainald Goetz in der Duisburger Kraftzentrale auf die Bühne bringen.

Weitere spannende Schauspiel-Uraufführungen des internationalen Festivals sind: „Los Años“ / „Die Jahre“ des argentinischen Filmemachers Mariano Pensotti in Bochums Jahrhunderthalle und „La Luna en el Amazonas“ / „Der Mond im Amazonas“ der kolumbianischen Gruppe Mapa Teatro auf Zollverein.

Bei aller Internationalität aber wird die reviertypische Bodenhaftung nicht fehlen. „Wir suchen sehr die Nähe von Menschen in der Region“, betont Barbara Frey. Das können die Bochumer Symphoniker sein oder lokale Künstlerinnen und Künstler, die die „Wege“ zwischen den Spielorten gestalten, „man wird da besprochen und bespielt“, so Barbara Frey, „darauf freuen wir uns riesig“. Auch PACT Zollverein ist als „natürlicher Partner“ wieder mit an Bord, vier Produktionen werden zu sehen sein. Ebenso dabei ist einmal mehr Florian Helgaths’ Chorwerk Ruhr und die Urbanen Künste Ruhr. Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss kuratiert eine Literatur- und Dialogreihe zum Thema Natur. Und die MaschinenHausMusik geht als „Kult-Konzertreihe“ in Duisburg weiter.

Ein Konzert zum Aufwachen – und eines zum Einschlafen

In der „Jungen Triennale“ gibt es Konzert und Schauspielprojekte für den Zuschauer-Nachwuchs: „Thelonious“ ist eine Konzert-Performance der Zonzo Compagnie für alle ab sechs, „Paisajes Para No Colorear“ / „Nicht auszumalende Landschaften“ ist ein Schauspiel für alle ab 15 der Theater Company La Re-Sentida.

Anfang und Ende der Triennale wird – natürlich – im Geiste des geisterhaften, wird im Zeichen der Grenzen zwischen Tag und Nacht stehen. Ein Konzert im Morgengrauen in der Maschinenhalle Zweckel bildet den Auftakt, früh um fünf – mit Frühstück im Anschluss. Die Pianistin Virginie Déjos interpretiert Ravel, Chris Watson spürt im „Morgenchor“ Umweltgeräuschen nach. Und zum Ende, am 25. September, werden in der Jahrhunderthalle Matten ausgelegt, das Klangforum Wien folgt „dunkelheitsaffinen“ Komponistinnen und Komponisten. Ein Festival, das mit einem Konzert zum Einschlafen endet – das hat schon jetzt Sympathiepunkte für Originalität.