Essen. Bob Dylan, der Urvater aller neuzeitlichen Singer und Songwriter, wird 80 Jahre alt. Bis heute ist er ein Rebell ohne Grund geblieben.

Als Bob Dylan 2016 erst einmal spurlos abgetaucht war, nachdem ihm die Nobel-Jury den wichtigsten Literaturpreis der Welt zugesprochen hatte, rätselten alle, was denn wohl in den Mann gefahren sein mochte. Und genau das war von Anbeginn seiner Karriere stets das Grundprinzip des Mannes, der heute als Ahnvater aller jüngeren Singer und Songwriter dasteht: Rätsel aufgeben, staunen machen, die Sphinx aus Minnesota spielen, wo er am 24. Mai vor 80 Jahren in Duluth kurz vor der Grenze zu Kanada als Robert Allen Zimmerman zur Welt kam. Selbst über das Zustandekommen seines Künstlernamens hat er diverse, recht unterschiedliche Auskünfte gegeben – mal soll es Matt Dillon aus den „Rauchenden Colts“ gewesen sein (die erdverbundene Variante), mal der walisische Trunkenbolddichter Dylan Thomas (die künstlerische Variante), mal soll es ihm „einfach eingefallen sein“ (die Genie-Variante).

Dass Dylan dann vor fünf Jahren nicht einmal zur Preisverleihung in Stockholm erschien, sondern Patti Smith einen seiner Songs singen ließ; dass er als Nobel-Vorlesung, ohne die den Preis nicht gibt, kurzerhand ein Video über den großen Teich nach Schweden schickte, erinnerte an das andere Bein, auf dem der Pop-Riese seit beinahe sechs Jahrzehnten seine Zeit und seine Genossen überragt: Er ist und bleibt ein Rebell. Für eine politische Mission hielten das die Leute noch Anfang der 60er-Jahre, als er mit 21 sein erstes Album veröffentlichte und mit Joan Baez nicht nur das Bett teilte, sondern in Washington auch das Podium bei der Abschlusskundgebung des Civil Rights March für die Bürgerrechte der Schwarzen, zu Martin Luther Kings ikonischer „I Have a Dream“-Rede.

Faible für Außenseiter

Halb glückliches Paar: Bob Dylan und Joan Baez 1965.
Halb glückliches Paar: Bob Dylan und Joan Baez 1965. © dpa | UPI

Dylan wurde im Nu zum Inbegriff des Protestsängers, die Helden seiner Jugend aber waren anstößige Stars wie Elvis Presley, Little Richard und Chuck Berry . Und Marlon Brando in seiner Rolle als Motorrad-Rocker: „Keiner schreibt mir vor, was ich zu tun habe!“, sagte Brando als Chef der Motorradgang 1953 in dem Film „The Wild One“. Ein Rebell ohne Grund, wie das andere große Filmidol James Dean.

Dylan hat daneben immer ein Faible für literarische Außenseiter gehabt, für die Beatniks, für delirierende Dichter wie Rimbaud oder Baudelaire. Vor allem aber für John Steinbeck. In dessen heimat- und arbeitslosen, mitunter kleinkriminellen und oft harmonikaspielenden Helden, die sich gegen die US-Depression der 30er-Jahre sträubten, in den abgezehrten, tapferen Countrysängern dieser Zeit sieht Dylan das wahre Amerika, wie er in den Sendungen für eine US-Satellitenradiostation bekannte, bei der er von 2006 bis 2009 wöchentlich eine Stunde moderierte. All die Außenseiter hatten etwas Exotisches, Uriges für Dylan, der in einer jüdischen Mittelschicht-Familie aufwuchs und dort das Klavierspielen lernte, den man aufs Internat schickte, als er schwierig wurde. Noch das Reisegeld für den Karrierestart in Greenwich Village, New York, bekam er von seinem Papa „Abe“ ausgehändigt.

Häufiges Abtauchen, heimliche Hochzeiten

Der Stromstoß-Schock, den Dylan seinen Fans dann 1965 beim Newport Folk Festival versetzte, als er eine elektrische Gitarre einstöpselte und eine Rock-Version von „Maggie’s Farm“ spielte, war wohl der heftigste in Dylans Karriere, aber bei weitem nicht die letzte Kehrtwende. Immer, wenn man glaubte, diesen Mann in eine Schublade stecken zu können, sprang er raus und zeigte ein anderes Gesicht. Und nie war es eine Maske, immer ein Gesicht der vielen Bobs, die in Dylan wohnen: Sein radikaler Rückzug nach dem mysteriösen Motorradunfall 1966, sein Gang in die Country-Metropole Nashville, sein Heiligenschein als wiedergeborener Christ 1979, sein häufiges Abtauchen und seine heimlichen Hochzeiten, seine zahllosen Comebacks, seine Hinwendung zu Sinatra-Songs mit drei Alben seit 2015...

Dass dieser Mann, der Interviews und Konzertfotos meidet wie die Beulenpest, schon vor 30 Jahren einen Grammy für sein Lebenswerk bekam, ist ein Aberwitz, war aber damals schon logisch angesichts von mehreren Dutzend Songklassikern aus seiner Feder, die auch durch Interpretationen anderer Musiker zu Verkaufserfolgen wurden, angefangen bei „Blowin’ in the Wind“ und nicht endend bei „Mighty Quinn“. Sein Freund Allen Ginsberg verglich Dylans Songs treffend mit Klecksbildern der Rorschach-Tests, in denen alle ihr eigenes Unbewusstes wiederfinden können.

Mürrisch zu Fans und Reportern

„His Bobness“ ist nie so weit gegangen wie Frank Zappa, der jubelnden Sprechchören in seinem Publikum schon mal entlarvend den Hitlergruß entgegenhielt – aber gewohnt ist man von ihm Konzerte, bei denen man die ganze Zeit nur die Rückseite des Künstlers sieht, außer dem knappen Begrüßungssatz kein Wort von Dylan vernimmt und selbst eingefleischte Fans lange raten müssen, welchen Song er denn da nun gerade wieder bis zur Unkenntlichkeit „interpretiert“.

Die seit 1988 andauernde „Never Ending Tour“ mit mehr als 3000 Konzerten macht gerade Pause, Dylan hat sich vor Corona im heimischen Malibu in Sicherheit gebracht. So unvorstellbar es wäre, dass Dylan die Gitarre in die Ecke stellt und nicht wiederkäme auf die Bühne – er würde es tun, wenn er das Gefühl hätte, dass keiner damit rechnet. Wie sagte noch der Autor, Schauspieler und Dylan-Freund Sam Shepard: „Wenn das Rätsel gelöst ist, ist der Fall erledigt! In Bob Dylans Fall wird das Mysterium nie aufgelöst, also geht der Fall weiter.“