Essen. Für ihr Essay „Laubwerk“ wurde Autorin Marion Poschmann mit dem „Wortmeldungen“-Literaturpreis geehrt. Jetzt liegt der Text in Buchform vor.

„Orange, karmesinrot oder magenta“ sind die Blätter des Japanischen Ahorns im Herbst, und wer sich zur Laubschau („Momijigari“) aufmacht, „steht in einer Reihe mit den hochstehenden Persönlichkeiten vergangener Jahrhunderte, die irgendwann begannen, das rote Herbstlaub der spektakulären Kirschblüte vorzuziehen, um damit ihren exquisiten Geschmack zu beweisen“. Auch Nordamerika ist das „Leaf peeping“ mehr als ein touristisches Unterfangen, „man verbindet sich mit den Wäldern und der Witterung, man hat Teil an der Schönheit des Landes“.

Nur „bei uns in Europa“, da wird „von der Laubfärbung keinerlei Aufhebens gemacht“. Schlimmer noch: „Der Goldene Oktober benötigt eine Infrastruktur von Biertischen und lauschigen Lauben, benötigt deftige Mahlzeiten und Feierlaune, um überhaupt zur Geltung zu kommen.“

Marion Poschmann wurde 1969 in Essen geboren und ist in Berlin beheimatet

Wenn Schriftstellerin Marion Poschmann, 1969 in Essen geboren und seit langem in Berlin beheimatet, von Bäumen und Blättern schreibt, dann mit kulturgeschichtlichem wie botanischem Rüstzeug und vor allem: mit feiner Ironie. „Laubwerk“, soeben ausgezeichnet mit dem 35.000 Euro schweren „Wortmeldungen“-Literaturpreis, kommt nur scheinbar vom Hölzchen aufs Stöckchen, arbeitet sich der Text doch in einer Art umgekehrter Baumstruktur bis zur Wurzel der üblen Entwicklungen vor.

In klassischer Lyrik werden Bäume eingesetzt, um die Atmosphäre eines Gedichts zu prägen, im Stadtbild sind sie Ausdruck eines atmosphärischen wie klimatischen Wandels: Rotbäume aus Nordamerika und Ostasien vertragen die Sommerhitze und Trockenheit besser als hiesige Arten, weshalb im Berliner Regierungsviertel jetzt Sumpfeichen stehen, die aber in „Spree-Eichen“ umgetauft wurden. Rote Bäume, sie könnten als Alarmsignal verstanden werden, stattdessen aber würden sie als geniale Anpassung an den Klimawandel interpretiert – und statt Hitzestaus in den Städten vorzubeugen, werden Bäume gesucht, die diese tolerieren.

Marion Poschmann fordert „eine Romantisierung der Welt“

„Wenn wir die Natur bewahren und eine ökologische Katastrophe verhindern wollen, ist eine neue Romantisierung der Welt, eine poetische Naturwahrnehmung unumgänglich“: Dies ist das Fazit eines Spaziergangs durch Kunst- und Literaturgeschichte, durch Biologie und Gesellschaftskunde. Marion Poschmanns Blick ist dabei so hell und klar und durchdringend, dass wir erschüttert die letzte Seite umblättern: Wir haben den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.

Marion Poschmann: Laubwerk. Verbrecher Verlag, 72 S., 12 €