Ob packende Science-Fiction von Robert Harris oder die Welt Jane Austens: Neue Hörspiele widmen sich vielstündig großen Vorbildern.

Das Mittelalter nach uns

„Alternativweltgeschichte“ ist ein schönes Wort, Robert Harris einer ihrer rasanten Vertreter. In seinem Debüt („Vaterland“) ließ er Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewinnen. Sein jüngster Wurf ist nicht weniger listig: Der junge Geistliche Fairfax bereist ein Dorf, dessen Priester unter rätselhaften Umständen umkam. Es riecht nach Dreck und Pestilenz einer vorindustriellen Zeit: Mittelalter. Tatsächlich spielt „Der zweite Schlaf“ jedoch 800 Jahre nach uns. Die Zivilisation ist zusammengebrochen, Feuer die einzige Energie. Computer sind nur noch Artefakte, erst recht diese Geräte mit dem angebissenen Apfel: Symbol schwerster Sünde...

Thriller, Historienschinken, großes Gleichnis der Mahnung: Die vierstündige Hörspielfassung reizt den düsteren Charme der Dystopie mit Wonne aus. Ein richtiger Straßenfeger ist das, mit Mechthild Großmann, Anna Thalbach und vielen anderen stark besetzt. Nur fragt man sich, wie ein so erfahrener Regisseur wie Leonhard Koppelmann einem so mangelhaft ausgebildeten Sprecher wie Max Mauff („Kiache“, „einklich“ statt „Kirche“, „eigentlich“) eine tragende Rolle anvertrauen konnte. Der hörverlag, 4 CDs, 20€

Very british

Ein Hörspiel, wie ein guter alter James-Ivory-Film: stilvoll und -sicher, nuancenreich, liebevoll ausgemalt, mit einer Prise ästhetischer Ironie im rechten Moment. Jane Austens unterschätztes Meisterwerk „Mansfield Park“ hätte auf keine bessere Hörspielregisseurin treffen können als Iris Drögekamp. Das Schicksal der Fanny Price in einer Umgebung aus Dünkel, Dummheit und Dandytum inszeniert sie mit Sprechern erster Garnitur, allen voran Sophie Rois (köstlich!). Dazu leistet sich die großangelegte Produktion in ihren über vier Stunden einen eigens komponierten Breitwandsound, den die Sinfoniker des Hessischen Rundfunks lustvoll ausreizen. Mehr Ohren-Kino geht nicht! Der hörverlag, 4 CDs, 20€

Flauberts letzter Wurf

Eine Suche nach Glück und Selbstverwirklichung in bewegter Zeit: Gustave Flauberts „L’Éducation sentimentale“ („Lehrjahre der Männlichkeit“) war sein letzter großer Wurf. Es ist nicht gut gelungen, das ironisch grundierte Panorama aus dem Frankreich der 1840er Jahre auf die Hörspielbühne zu übertragen. Das Personal rund um Frédéric Moreau reicht vom Rotlicht bis zur Hochfinanz, aber die vielen prägenden Stationen sind nicht clever konturiert. Es zieht einen nicht hinein. Ein weiteres Manko: Senta Bergers Erzählerin, die sich (bei charismatischer Stimme) doch allerhand recht kuriose Betonungen gönnt. Der Audio Verlag, 4 CDs, 22€

Zum 100. Geburtstag

Und zum Schluss noch eine charmante Ausgrabung für Nostalgiker: sieben kostbare Hörschätze zum 100. Geburtstag des Philosophen und Erzählers Stanislaw Lem. Per Versandhaus gelieferte Roboter, die ungefragt die Regie übernehmen, Programmierer, die die Thronfolge regeln, ein Mensch, aus verunfallten Brüdern geschaffen: Man lauscht Prophetie und satirischer Schärfe – starke Auftritte von Martin Held bis Gert Westphal inklusive. Lem – die große Hörspiel-Box. Der Audio Verlag, 30€