Duisburg. Das Emscherkunstprojekt erreicht Duisburg. Die Künstler Julius von Bismarck und Marta Dyachenko erinnern an abgerissene Gebäude des Ruhrgebiets.

Im Schatten der Autobahn 42 mit Blick auf das zum Landschaftspark verwandelte Meidericher Hüttenwerk und nahe der Alte Emscher ist eine „Neustadt“ errichtet worden, in der niemand leben wird. Das Gebäude-Ensemble hat es so nie gegeben, und dennoch weckt es Erinnerungen. Die „Neustadt“ im Miniaturformat ist das jüngste Werk des Emscherkunst-Projekts, das jetzt Duisburg erreicht hat.

Der Künstler Julius von Bismarck, der in seinen teils extremen Kunstaktionen mit Naturgewalten wie Blitzen, Stürmen und Feuersbrünsten gearbeitet hat, und die in Kiew geborene Künstlerin und Architektin Marta Dyachenko haben 23 Gebäude, die seit 2000 im Ruhrgebiet abgerissen worden sind, ausgewählt und im Maßstab 1:25 nachgebaut. Die Skulpturen aus Beton, Stahl und Edelstahl sind kein perfekten Modelle, sondern mit Rost und abgestoßenen Ecken bewusst „in gealtertem Zustand“ gestaltet, so Julius von Bismarck. Sie sind kein idyllisches „Best of“ der Region. Sie zeigen, wie man sich – auch jenseits des Ruhrgebiets – einst die Zukunft der Städte vorgestellt hat, die sich als recht kurzlebig erwies.

Vom City-Wohnturm Bergkamen und Allwetterbad Schwerte bis zum „Weißen Riesen“

Weil die Wohnkomplexe, in denen Menschen nicht mehr wohnen wollten und verkamen, als „Bausünden“ verschwanden, weil Kirchen und Schwimmbäder überflüssig wurden, Bunker hässlich wirkten oder Schulen asbestverseucht waren. Die Abrissspur zieht sich durch die ganze Region: Vom City-Wohnturm in Bergkamen über das Allwetterbad in Schwerte, das Kraftwerk Gustav Knepper in Dortmund (das noch aufgestellt wird), über die Volkshochschule und ein „Gammel“-Wohnhaus in Essen und die Paulskirche in Duisburg bis hin zum „Weißen Riesen“, der 2009 im Kamp-Lintfort abgerissen wurde.

Aufgestellt auf einem kleinen Hügel, auf dem das Gras noch wachsen muss, bilden diese Gebäude-Skulpturen eine absurde Stadt. Zu allererst glaubt man, sie alle schon gesehen zu haben, auch wenn das täuscht und sie vielleicht nur typisch sind für die Architektur ihrer Zeit, die etwa in den 60er und 70er Jahren als fortschrittlich galt. Die mächtigen Originale wurden oft unter dem Beifall von Bürgern und Politik gesprengt. Wie sensibel das Thema ist, zeigte sich erst jüngst bei der Einfamilienhaus-Debatte nach Äußerungen den Grünen-Politikers Anton Hofreiter.

„Was bleibt? Was kann weg? Was ist schön und was hässlich?“

Den kleinen Nachbauten begegnet man hier auf Augenhöhe, die Skulpturen lassen durchaus architektonische Qualitäten erschließen. „Neustadt“ wirft Fragen auf von Architektur und Städtebau, von Strukturwandel, Nachhaltigkeit und über den Umgang des Menschen mit der Natur. Der Abriss des „Palasts der Republik“ habe ihn als „Beispiel für den falschen Umgang mit Vergangenheit und Architektur“ auf die Idee zur „Neustadt“ gebracht, so der in Berlin lebende von Bismarck: „Was bleibt? Was kann weg? Was ist schön und was hässlich?“

Seine „Neustadt“ versteht er auch als „Ideen- und Zukunftsmaschine“. Betongebäude abzureißen, bedeute einen immensen Kohlendioxid-Verbrauch: „Wie kann verantwortungsvoller und besser bauen?“ Auch aus ökologischen Gründen sei die „Neustadt“ mit dem Schiff in sieben Tagen von Berlin nach Duisburg gebracht worden, die dauerhaft am Platz bleiben soll.

Auch wegen dieser „entschleunigten Reise“ nennt NRW-Kulturministerin Isabell Pfeiffer-Poensgen die Arbeit ein „sehr poetisches Gesamtkunstwerk“. Es rühre sie an, „dass Gebäude wieder erweckt werden“. Und für Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft, wird „der Schmerz des Abgerissenen lebendig“. Britta Peters vom Kooperationspartner Urbane Künste Ruhr würde die „Neustadt“ gerne erweitern, etwa um den Wohnkomplex „Hannibal“ in Dortmund. Der viel beschäftigte von Bismarck, 1983 geborener Urururgroßneffe des ersten deutschen Reichskanzlers, hält sich da zurück, sagt allerdings: „Das Jenseits ist nicht geschlossen.“

Offiziell öffnet „Neustadt“ am 1. Mai. Die Skulpturen-Installation findet man östlich des großen Landschaftspark-Parkplatzes, am Fahrradweg Grünen Pfad und an der Emscherpromenade (Eintritt frei).