Duisburg. Die Rheinoper zeigt Boris Blachers Kammeroper „Romeo und Julia“ als kostenlose Stream-Produktion im Internet – und eröffnet neue Perspektiven.

Boris Blachers Kammeroper „Romeo und Julia“ ist maßgeschneidert für krisengeschüttelte Zeiten: Komponiert wurde sie 1943 unter extremen Bedingungen mit ungewissen Aussichten auf reguläre Aufführungsbedingungen, die Handlung ist skelettiert auf ein einstündiges Miniaturformat, die Besetzung reduziert auf die Möglichkeiten eines Vorstadttheaters. Im Dezember sollte die Oper als Neuinszenierung der Deutschen Oper am Rhein über die Bühne des Duisburger Theaters gehen. Die Pandemie verhinderte die Premiere, so wie Boris Blacher seinerzeit sieben Jahre auf die szenische Uraufführung seines Stücks warten musste.

Soviel Geduld mutet die Rheinoper ihren Opernfreunden zum Glück nicht zu. Im März wurde die Produktion zwei Tage lang für eine Stream-Produktion mitgeschnitten, die ab jetzt bis zum 17. Oktober kostenlos über die Opernplattform www.operavision.eu abgerufen werden kann.

Mit sieben Kameras hält das Berliner Team um Friedrich Gatz die Aufführung fest

Angesichts der wachsenden Bedeutung gestreamter Projekte sollte man sich daran gewöhnen, in Zukunft neben dem althergebrachten Regisseur auch den Bildregisseur stärker zu beachten. Denn die sieben Kameras, mit denen das Berliner Team um Friedrich Gatz die Aufführung festhält, ermöglichen optische Perspektiven, Schnitte und Einstellungen, die im fertigen Zusammenschnitt mehr Interpretationsebenen vorgeben als die gewohnte Präsentation der gesamten Bühne im Zuschauerraum. Allerdings hält die bescheidene Machart des Stücks filmtechnische Überdrehungen in Grenzen.

Blachers Libretto fußt auf der alten Schlegel/Tieck-Übersetzung und konzentriert sich dabei extrem konsequent auf die Hauptszenen der Titelhelden. Die Eltern Julias sowie Benvolio, Tybalt und die Amme treten nur kurz auf. Was sonst zum Verständnis der Handlung wichtig ist, vor allem die Bedrohung durch die feindliche Außenwelt, trägt ein achtköpfiger, schwarz gekleideter Chor bei, der auf einer Empore nahezu allgegenwärtig das Liebesleid des weiß gewandeten Paares auf dem Bühnengrund wie in einer altrömischen Arena beobachtet und kommentiert.

Mit der doppelbödigen Anordnung der Bühne unterstreichen Regisseur Manuel Schmitt und seine Ausstatterin Heike Scheele die Essenz von Blachers Werk-Verständnis: Liebe ist in einer Zeit, in der Hass und Gewalt herrschen, nicht möglich. Damit bedürfte es gar nicht der aktuellen Abstandsregeln, um Romeo und Julia bis in den Tod hinein auf Distanz zu halten. Es spricht für die Inszenierung, dass Schmitt den Konflikt sensibel ausführt und auf Bombenhagel verzichtet. Die Qualitäten seiner feinen Personenführung werden durch die Kameraführung zusätzlich aufgewertet.

Christoph Stöcker hält die Musiker zu einem angemessen trockenen Vortragsstil an

Durch die dünne Instrumentalbesetzung mit Flöte, Fagott, Trompete, Klavier und Streichquintett, den rezitativischen Gesangsstil und nicht zuletzt durch die Beigabe dreier bitter-sarkastischer Chansons im Moritaten-Stil entreißt Blacher das Stück romantisierter Rezeptionen des Stücks als Liebesromanze und bedient sich der einfachen, Distanz schaffenden Mittel des Brechtschen Theaters. Kurt Weill hat ihm Pate gestanden, nicht Gounod und Bellini. Christoph Stöcker hält die Musiker der Duisburger Philharmoniker zu einem angemessen trockenen Vortragsstil an, unterschlägt aber nicht die fein dosierten emotionalen Aufwallungen und dramatischen Zuspitzungen.

Lavinia Dames und Jussi Myllys in den Titelrollen stellen die schmerzliche Liebesgeschichte stimmlich exzellent, mit jugendlicher Anmut und darstellerischer Intensität, glaubwürdig dar. Ein Sonderlob gebührt dem Chor, dem Blacher hohe stilistische Flexibilität abverlangt. Mit gebührender ironischer Hintergründigkeit gestaltet Florian Simon die drei Chansons. Vorzüglich sind auch die Nebenrollen besetzt.

Die Produktion ist als stream kostenlos bis zum 17. Oktober 2021 abrufbar unter: www.operamrhein.de oder www.operavision.eu.