Essen. Kein klassischer Held - und doch haben wenige Schauspieler ein so großes Publikum fasziniert. Heute wäre Peter Ustinov 100 geworden.

Was tust du als Schauspieler, wenn du für die Kavaliere und Bohemiens nicht schön genug bist? Nicht männlich genug für die Freibeuter und Cowboys, aber auch kein solches Scheusal, dass du bis ans Lebensende gute Gagen für die Monsterabteilung einsackst?
Du wirst einzigartig, ein listiger Clown, ein Dubioser zum Liebhaben, ein vielstimmiger, der in allen Tönen doch immer er selbst ist. Denn dann hast du geschafft, dass man einfach deiner selbst wegen ins Kino geht, auch wenn Jüngere gegen dich antreten und du einen Bauch hast und Falten.

Apropos Jüngere: Peter Ustinov, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, ist erst 29, als man ihn zu Probeaufnahmen für ein Riesenprojekt Hollywoods bestellt. Er soll den wahnsinnigen Nero in „Quo vadis“ spielen. „Ganz gut, aber zu jung“, sagen die Bosse von Metro-Goldwyn-Mayer. Ustinov aber wechselt den Einwand mit jener Visitenkarte von Witz und Schlagfertigkeit, die ihm ein Leben lang Türen öffnen soll. Telegramm des Hingehaltenen: „Wenn ihr noch länger wartet, bin ich zu alt. Nero starb nämlich mit 31 Jahren.“ Er kriegte die Rolle. Ustinov gab den irren Kaiser in hysterischer Ekstase: ein Labiler zum Fürchten. Sein Auftritt ließ den heute kurios anmutenden Schinken Filmgeschichte schreiben. Für Ustinovs bedeutete er den Durchbruch.

100 Jahre Peter Ustinov: verrückter Nero und listiger Detektiv


Unter den vielen vielen Filmen, die er drehte, gab es zu Recht vergessene Dutzendware. Andere halten bis heute ihre Magie, der liebenswert-schmierige Ganove in „Topkapi“ zählt dazu wie Ustinov als charmanter Hacker der ersten Stunde in „Das Millionending“. Kultstatus, obschon Meilen von Agatha Christies peniblem Belgier entfernt, erlangten seine Poirot-Filme, allen voran „Tod auf dem Nil“. Lachend gab er nach Dreharbeiten zu, nicht nur der Zuschauer würde von Christie am Nasenring durch den Fall geführt. Er selbst habe die Auflösung im Grunde auch nicht verstanden...

Peter Ustinov war mehr als ein Schauspieler, seine eigene Stiftung kämpfte gegen Vorurteile


Seine Filme geben indes nur einen kleinen Teil dieses theatralischen Universalisten preis. Früh schreibt er: Drehbücher, Kritiken, Stücke, Prosa. Er forscht, er lehrt und er trifft in einer Reihe für die BBC die Großen der Welt. Dabei geschieht 1984, was kein Hollywood-Reißer erfinden kann – Indira Gandhi wird auf ihrem Weg zu „Ustinov’s People“ erschossen. Der schockierte Gastgeber improvisiert live vor der Kamera, verkündet den Tod der indischen Premierministerin und schließt mit „Aber die Vögel sind noch in den Bäumen“. Ob er doch alle Welt wie eine Bühne sah?

Peter Ustinov hatte abseits von Hollywood gelernt, aus Nichts eine Welt zu erschaffen


Was seine Kunst angeht, erweist sich ein Leben lang als Kapital, dass nicht die oberflächliche US-Traumfabrik, sondern das traditionsreiche englische Theater Ustinovs Schule war. Bis kurz vor seinem Tod 2004 lässt er – geliebter Gast in Talkshows oder auf Galas – aus dem Nichts eine Welt entstehen, ohne jedes Requisit. Aus dem Stegreif parodiert er samt alten Instrumenten Bach-Kantaten („Ach, lieber Gott, sei doch nicht bös!“), fängt mit der Zunge unsichtbare Fliegen wie ein Chamäleon und hat (schon im Rollstuhl) einen bis heute lachtränentreibenden Auftritt in „3 nach 9“ als leiernder Anlasser eines Fiat 500, zu dessen Ächzen Cecilia Bartoli ihren stolzen Mezzosopran auffährt.


All das Komödiantische hat auch eine ernsthafte Mission finanziert. Mit einer eigenen Stiftung kämpfte der vielsprachige Weltbürger und Unicef-Botschafter gegen seinen größten Feind: das Vorurteil. In ihm sah der Pazifist Peter Ustinov – Brite und Wahl-Schweizer mit Vorfahren aus vier Nationen – den schlimmsten Gegner für ein Zusammenleben in Frieden.