Essen. Mit Leidenschaft und Leidensbereitschaft: Timon Karl Kaleytas Debütroman „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ ist traurig und komisch zugleich.

Der Soziologieprofessor in Bochum hatte für seinen Studenten die richtigen Tipps. Bei der Jobsuche solle er besser nicht auf seiner Qualifikation bestehen und noch wichtiger: reich heiraten. Was könnte er den Heeren von Geisteswissenschaftlern – dieser „aussortierten Generation“ – auch sonst raten, die in der überfüllten großen Aula ihre Zeugnisse vor den stolzen Eltern in Empfang nehmen und „mit Bestnoten vom Hof gejagt werden“.

Darunter ist auch der namenlose Erzähler des ebenso komischen wie traurigen Debütromans von Timon Karl Kaleyta (Jahrgang 1980). Bei seinem Protagonisten kommt noch erschwerend hinzu, dass er seidenweiche Hände hat, die nicht zum Arbeiten taugen. Dabei ist er das Einzelkind schuftender Fabrikproletarier, die sich ihr kleines Eigenheim vom Mund abgespart haben und immer noch den Kredit abzahlen müssen.

Nur einer teilt die Begeisterung nicht

Am Beginn sind wir im September des Jahres 1998. Die Schule ist SPD-beflaggt, denn nach 16 Jahren Kohl-Regierung ist Gerhard Schröder an die Macht gekommen. Nur einer kann und will die Begeisterung nicht teilen.

Für den Erzähler hätte es immer so weitergehen können, denn er ist mit seinem Schicksal höchst zufrieden. Schon dem fast zu hübschen zarten Knaben mit den leuchtenden Augen waren die Erfolge nur so in den Schoß gefallen. Der Schulreferendar erspürte dieses ungezügelte Anderssein und riet, daraus einen Lebensplan zu entwickeln. Der müsse unbedingt zu den Leuten an den Fleischtöpfen führen, dabei dürfe man ruhig die Ellenbogen gebrauchen.

Ein bisschen Felix Krull, ein bisschen Hans im Glück

Das trifft sich gut, denn der Eleve weiß ohnehin, dass das Schicksal Großes mit ihm vorhat. Eines Tages wird er in die nächste Stufe des Wohlstands aufsteigen. Mindestens. Ein bisschen Felix Krull, ein bisschen Hans im Glück, so schreitet dieses Leben voran. Gedanken an die Zukunft müssen nicht verschwendet werden, weil sie ihm zufliegt. So ging das erschütterungsfrei bis zu Kohls Abwahl, und später erst beim Studium kam manchmal das Gefühl auf, einer unter zu vielen zu sein. Doch davon lässt sich so einer nicht abschrecken.

Nachdem er als Pflichtlektüre Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede“ studiert hat, platzt ihm der Kragen und er schreibt dem überforderten Professor: „Dieses Buch ist bösartig und gefährlich.“ Sofort bekommt er einen Termin, wo er zornig erläutert, dass es sehr im Gegensatz zum Blödsinn des französischen Soziologen möglich ist, sich über sein Schicksal zu erheben und seine Herkunft abzuschütteln. Er werde so ein Gegenbeispiel sein.

Luxuskind und Pragmatiker

Nun hat er ein Ziel vor den Augen. Auf das wird er fortan zustolpern, ohne es exakt benennen zu können. Dabei flankieren ihn seine beiden besten Freunde Sebastian und Vincent, der eine als von Emotionen hin zur Kunst gesteuertes Luxuskind, der andere als pragmatisches Gegenstück mit Verstand und analytischer Logik.

So studiert er in Bochum, Madrid und Düsseldorf, hat in Spanien allerdings anderes vor, was beim Deutschen Akademischen Austauschdienst einen Schuldenberg wachsen lässt. Parallel wächst auch seine Karriere als Popsänger, in die er hineingeschliddert ist wie in alles in seinem Leben. Seine Musik ist geprägt von autodidaktischer Einfalt, mit der er markante Texte unter die Leute peitscht, wobei er es genießt, dass sie in so großer Zahl vor allem seinetwegen gekommen sind.

Direkte Parallelen zur Biografie des Autors

„Wir werden alle nicht Ernst Jünger“, heißt so ein Vers, der auf direkte Parallelen zur Biografie des Autors verweist, wie sich das für einen Debütroman gehört. Die Zeile stammt aus einem Song seiner mal erfolgreich gewesenen Band „Susanne Blech“. Auch die genannten Studienorte stimmen mit denen Kaleytas überein. Inwieweit es die vielen Anekdoten aus dem Musikgeschäft auch tun, ist nachrangig, weil Dichtung oder Wahrheit nicht die Frage sein kann für einen Roman.

Es gibt zwei wirklich originelle Liebesgeschichten in diesem Buch über eine zuverlässig zu spät kommende Generation, deren hier durch die Seiten taumelndem Vertreter eine auf ein Jahr befristete Halbtagsstelle angeboten wird als universitärer Karrierehöhepunkt. Auf Arroganz und Abstürze, Selbstmitleid und Selbstgewissheiten folgt dann zwischen Leidenschaft und Leidensbereitschaft fast ein Happy End, mit dem man so niemals mehr rechnen konnte.

Das Buch

Timon Karl Kaleyta: Die Geschichte eines einfachen Mannes. Roman. Piper Verlag. 314 Seiten. 20 Euro.