Essen. „#ActOut“: Warum 185 Schauspielerinnen und Schauspieler mehr Akzeptanz in Sachen sexuelle Orientierung fordern, erklärt Maren Kroymann.

185 darstellende Künstlerinnen und Künstler haben anderen Mut gemacht und im Magazin der Süddeutschen Zeitung „Wir sind viele“ gesagt. Diese Botschaft stand für einen Appell an die Medienbranche: „Wir leben nicht heterosexuell und wollen dafür nicht von Film oder Fernsehen benachteiligt werden.“ Zu den Unterstützern von „#ActOut“ zählt Maren Kroymann (71). Lars von der Gönna sprach mit der Schauspielerin und Kabarettistin über ein unterschätztes Thema.

Der Aufschlag „#ActOut“ hat ein gewaltiges Echo gefunden. Hat Sie das noch erstaunen können?

Maren Kroymann: Ja, ich hab’ mich vor allem gewundert, dass die Leute so überrascht sind, dass es diese Zurücksetzungen und Diskriminierungen in unserem Metier noch gibt. Es ist aber kaum anders als bei Menschen, die bei der Sparkasse arbeiten: Schwule, Lesben, Bisexuelle sagen nicht häufig offen, dass sie es sind. Und dafür gibt es ja Gründe. Nur etwa 30 bis 40 Prozent der Homosexuellen sind auf ihrer Arbeitsstätte offen homosexuell.

Denken Menschen, in der Kunst sei das kein Thema?

Sinngemäß gibt es diese Idee: Na, Schauspieler sind ein buntes Völkchen, da ist doch klar, dass die alles dürfen. Aber genau das stimmt nicht. Es gibt sicher Unterschiede: Im Unterhaltungsgenre gibt es mehr Raum. Das hat so den Touch Paradiesvogel: Da darfst du schrill sein, ein bisschen anders aussehen, so wie es damals mit Hella von Sinnen im Privatfernsehen war.

Hat das nicht auch eine abwertende Seite?

Die gibt es sicher: Im von den Bildungsbürgern und -bürgerinnen verachteten Entertainment darf sich auch die tuntige männliche Person tummeln. Aber ich möchte ganz klar sagen: Menschen wie Hella oder auch Dirk Bach haben die Tür ein sehr großes Stück geöffnet.

Die Darstellung von Anderssein darf ja dauerhaft keine Freak-Show sein. Fehlt das Abbilden von Normalität?

Es wird immer noch etwas auf diese Gruppe projiziert. Vielleicht steckt dahinter auch der Wunsch, den total normale Leute haben: das bei den „Anderen“ was Dolles passieren muss. Es wird aber schief, wenn das immer einer Gruppe passiert, die ohnehin als „anders“ gilt.

Würde ein Typ wie Heino Ferch einen Schwulen spielen, hieße es: „Oho, der traut sich ja was...“ Als sei das ein dunkler Abgrund.

...oder ‘ne Behinderung (lacht herzlich). Tom Hanks hat für seinen ersten Schwulen ja auch gleich ‘nen Oscar gekriegt. Ich warte immer noch auf den Tag, an dem ein Kritiker mich fragt: „Frau Kroymann, wie schaffen Sie es nur, eine heterosexuelle Frau zu spielen?“ Den könnte man nur hochnehmen: „Ja, also ist wirklich sauschwer, man muss die eben erkennen und dann beobachten. Die sind ja im Supermarkt, auf der Parkbank, die küssen sich sogar...“

Man traut einem Homosexuellen per Rolle eher den Massenmörder zu als einen guten Ehemann…

Ja, seltsam, dass uns gerade etwas „Normales“ nicht zugetraut wird. Ich glaub’ sogar, dass im deutschen Fernsehen Schwule oft mit heterosexuellen Schauspielern besetzt werden, um den Ekel zu neutralisieren. Nach dem beruhigenden Motto: Wenigstens ist der Darsteller nicht homosexuell!

Was muss geschehen?

Erstrebenswert – und das ist auch ein Ziel von Act Out – ist, dass wir Normalität abbilden, gerade auch das Unscheinbare. So wie jemand mit südländischem Aussehen bitte nicht schon wieder als Drogenhändler besetzt wird. Lasst uns doch bitte mal vorkommen, ohne dass ein Klischee bedient wird. Bitte mal einen Schwulen, der nicht die Hand abknickt und von dem man sogar vor dem heimischen Fernseher spürt, wie gut er riecht. Schwul- oder Lesbischsein muss ja nicht immer thematisiert werden. Es ist normal.

Ist der Fluch von Kino und Fernsehen, dass sie oft stereotyp besetzen, ob Mutter oder Müllwerker?

Viele einflussreiche Macher schieben ja gerne die „typische“ Zuschauerin vor: „Tante Erna aus Wanne-Eickel“ könne eben dies oder jenes nicht verstehen. Das ist so falsch, weil die Leute bei sich zu Hause bereits ‘ne viel entwickeltere Umgebung haben. Ich bin sicher: Sie würden mehr Mut im Fernsehen akzeptieren. Derzeit regiert eher ein Pseudo-Realismus, den man als geschönte Realität darstellt.

Reden wir auch von der Sorge um die Quote? Von einem langen Kuss unter Frauen als Umschaltgrund?

Die Angst ist da, unterfüttert von Sätzen wie „Die wollen das nicht sehen“. Letztlich ist es, auch im Kino, ein ökonomisches Argument. Auch das ist eine Projektion. Es wird ganz klar zu wenig ausprobiert.

Sind am Ende wirklich nur Drehbücher intolerant oder ist es ein gemütliches Silbereisen-Publikum?

Sicher ist die Gesellschaft als Ganzes noch nicht so weit wie eine zum Glück sehr fortschrittliche Gesetzgebung in unserem Land. Ich finde unsere Gesellschaft hält tolerante Werte schon hoch. Vielleicht ist es aber doch was anderes, die Werte zu respektieren als sie privat zu leben. Wenn der eigene Sohn sich für schwul erklärt, wird das manche Eltern immer noch prüfen. Diesen Zwiespalt in uns selber gibt es. Ich denke, es würde schon helfen, den tief sitzenden Konservatismus in uns zu erkennen – als ersten Schritt.

Zu Ihnen hat ein Fernsehmacher mal was nett Gemeintes gesagt, was rein abwertend ist: „Sie sehen gar nicht aus wie eine Lesbe!“

Ja, hör’ ich öfter! (lacht) Ist als Kompliment gedacht! Etwa so wie zu einem Schwarzen: „Och, du bist ja gar nicht so dunkel“. Was ist das für ‘ne Toleranz, die nur das gut findet, was so ähnlich aussieht wie man selber?!

Ihren Durchbruch hatten Sie einst in „Oh Gott, Herr Pfarrer“ als Pfarrersfrau. Hätten Sie die Rolle bekommen, wenn Sie sich damals schon geoutet gehabt hätten?

Ehrlich, ich weiß es nicht. Das war 1987. Die Boulevardblätter hätten mich wahrscheinlich gejagt. Doch damals war ich ja noch gar nicht mit Frauen zusammen. Aber ich weiß, dass mich der Fall Sedlmayr sehr beschäftigt hat. Vor allem die scheinheiligen Kommentare nach seiner Ermordung à la „Warum wusste das denn keiner?“ Dieses Verlogenheitserlebnis löste etwas in mir aus. Gegen die Doppelmoral hilft nur, dass man selber dazu steht. Als ich mich dann zum ersten Mal in eine Frau verliebt hatte, stand für mich schnell fest, dass ich mich outen würde.