Lana Del Reys neues Album „Chemtrails Over The Country Club“ romantisiert die Vergangenheit – und huldigt einer gewissen Grundschläfrigkeit.
Wäre „Chemtrails Over The Country Club“, das alles in allem doch sehr bezaubernde siebte Album von Lana Del Rey, eine körperliche Verfassung, dann wohl dieses morgendliche Räkeln in frischen, vielleicht nach Lavendel duftenden, Laken, noch alles andere als alert, aber schon mit halb angeschaltetem Kopf, die Optionen zwischen duschen, Kaffee kochen und liegenbleiben abwägend und sich restträumend langsam an den Tag herantastend. Denn Del Rey, die vor 35 Jahren als Elizabeth Grant in New York das Licht der Welt erblickte, tastet sich mit einer konsequenten Grundschläfrigkeitsstrategie durch ihre neuen Lieder, die, und das ist die Kunst, eben nicht einlullend, sondern durchweg stimulierend und die Phantasie kitzelnd wirkt.
Lana Del Rey hat sich seit dem Beginn der kommerziell erfolgreichen Phase ihrer Karriere, also seit ihren schwülstig-nostalgischen Debüt-Welthit „Video Games“ vor zehn Jahren, eine ganz eigene Welt gebaut. Die Wirklichkeit lugt in ihren Songs immer mal wieder durchs Fenster, hat aber nur begrenzt Zutritt. Hier mal ein verspielter, aber nicht ausformulierter Seitenhieb gegen Verschwörungstheoretiker wie im Titelsong, dort Andeutungen über das männliche dominierte Musikbusiness und den Grenzgang zwischen erträumtem Glamour und realem Kellnerinnen-Job mit 19 in Florida, den sie im ersten Lied „White Dress“ zum Thema vieler, in betörend hoher Falsettstimme gesungener, Worte macht.
Die Songs sind randvoll mit Erinnerungsfragmenten und Sprachspielen
Lana erzählt über einer sanften Pianomelodie, wie sie damals White Stripes und Kings Of Leon hörte, als diese angesagt waren, sie sinniert über „simpler times“, also einfachere Zeiten, was sich naturgemäß in komplexen Zeiten wie den aktuellen besonders gut macht. Die romantische Verklärung der Vergangenheit war von Anfang an ein wichtiges Stilmittel in der Kunst Del Reys, und man kann schon sagen, dass sie diesen Ansatz auf dem neuen Album auf die Spitze treibt. Die Songs sind randvoll mit Erinnerungsfragmenten und kleinen, klugen Sprachspielereien.
Im auch musikalisch etwas dämmerigen „Dark But Just A Game“ oder dem von akustischer Gitarre geprägten „Not All Who Wonder Are Lost“ zeigt sich wieder einmal, dass die seit Jahren in Los Angeles lebende und aktuell mit einem Musiker aus Modesto im Hinterland von San Francisco liierte Lana von allen chartrelevanten Popkünstlerinnen die verschmitzteste ist. Wie authentisch ihre Geschichten tatsächlich sind, wird seit jeher aufgeregt von Rezensenten debattiert, spielt aber überhaupt keine Rolle.
Lana Del Rey ist und bleibt ein Geschöpf der Gefühle und der Gefühligkeit. Man hört ihr nicht zu, weil man etwas über Feminismus, Identitätspolitik oder den Sturm aufs Capitol erfahren will (Einlassungen Lanas zu diesen Themen wurden zuletzt überwiegend mit Kritik und Häme kommentiert). Man lauscht ihrer leicht dösigen Stimme und den auf „Chemtrails“ besonders eleganten, stimmungsvollen und sachte dahinfließenden Arrangements vielmehr, um die Realität im Rückspiegel eines alten roten Cabrios zurückzulassen und der Künstlerin bedingungslos ergeben ins Lana-Land zu folgen.
Das Album geht musikalisch noch klarer Richtung Folk, Country und Americana
Das liegt dieses Mal deutlicher denn je in der Provinz eines besseren Amerika, das es so wohl nie gegeben hat. In gleich mehreren der cineastisch eingefärbten Stücke, sei es im sich natürlich vor David Lynch verbeugenden „Wild At Heart“, sei es in „Yosemite“, kehrt sie der Stadt den Rücken - und auch dem Ruhm, mit dem sie auch in echt in einer Art Hassliebe verbunden ist – um das kleine Glück in der großen Weite zu finden. Dazu passt, dass das wie schon der Grammy-nominierte Vorgänger-Geniestreich „Norman Fucking Rockwell!“ (mit dem unerreichten Song „Venice Bitch“) von Jack Antonoff (Taylor Swift, Lorde) produzierte Album musikalisch noch klarer Richtung Folk, Country und Americana ausschlägt.
Im vorletzten Song „Dance Til We Die“ nennt Lana die ehrwürdigen Kolleginnen Joan Baez (mit der sie schon aufgetreten ist), Stevie Nicks (mit der sie befreundet ist) und Joni Mitchell beim Namen. Um dann abschließend mit ihrer hinreißend-zärtlichen Version der Joni-Mitchell-Nummer „For Free“ (zusammen mit den Hipster-Musikerinnen Zella Day und Weyes Blood“) all denen, die sie immer noch für eine oberflächliche Erscheinung halten, sehr deutlich klar zu machen, dass sie wohl auf unabsehbare Zeit das Musikgeschehen mitprägen wird. Denn die großen Gefühle kommen ebenso wenig jemals aus der Mode wie der wohlige Halbschlaf am Morgen.