Essen. „Komplett Gänsehaut“ heißt das neue Werk von Sophie Passmann: Sie erzählt von der Schwierigkeit, sich im Erwachsenenleben einzurichten.

Sophie Passmann, die 27 Jahre alte und seit ihrem Bestseller „Alte weiße Männer“ bundesweit bekannte Autorin, ist: umgezogen. Zeit also, Rückschau zu halten, Zeit auch, sich zu entledigen – der Jugend, der Kindheit, der jüngsten Beziehung auch und der Möbel natürlich sowieso. Jeder Umzug ist wie ein Hausbrand, heißt es anfangs, es geht viel verloren, aber genau das ist für Passmann eine großartige Vorstellung: Sperrmüll mit „zu verschenken“ Schild in den Straßen der Großstadt lassen oder bei Verwandten unterstellen, „Möbel ghosten, bis niemand mehr weiß, wem sie gehören“.

Möbel ghosten? Also mit Schweigen strafen wie einen nun ungeliebten Ex-Partner? Das geht, wenn noch jedes Helmut-Newton-Bild in der Küche, jeder alte Plattenspieler im Wohnzimmer mit Bedeutung aufgeladen, geradezu animiert sind. Wenn Sophie Passmann Einrichtungsfragen stellt, wenn sie zwischen Kartons darüber sinniert, ob sie nun weiter auf der Matratze auf dem Boden schläft oder ein Bettgestell (oder Europaletten) kaufen soll, dann geht es darum, in Würde erwachsen zu werden: „Irgendwann beschließt man, endlich ein richtiger Mensch zu werden, man geht einmal samstags auf den Markt und will einer von diesen Leuten sein, die das immer machen, einer dieser Menschen, die am Wochenende schön mal ein Stück Lammfleisch schmoren oder einen Stamm-Italiener haben.“ Dummerweise aber fällt ihr beim Risottokochen mit dem Partner auf, dass das nichts anderes ist, „als in einer Altbauwohnung Italien spielen, es ist quasi Bildungsbürgertum-Cosplay“.

Die Freunde sitzen in der Küche „wie das Pressefoto eines Debattierklubs“

„Komplett Gänsehaut“ heißt Passmanns wortgewaltiger Ringkampf mit der Gegenwart und ihrer Generation, jedenfalls dem Teil ihrer Generation, der studiert hat und aus Einfamilienhäusern in Kleinstädten stammt und nun in einer Großstadt in Küchen sitzt „wie das Pressefoto eines Debattierklubs“ und natürlich: „Irgendwann fällt das Wort Körperlichkeit, dann kollektives Ausatmen, weil das ja nun wirklich so ein Streber-Wort von 2008 ist, als müssten noch die Grundlagen geklärt werden“. Der Freundeskreis als Proseminar, und das „komplett verwöhnte Mittelstandsgirl“ denkt: „Das Mindeste, was man vom Leben verlangen darf, ist also, dass man im eigenen Wohnzimmer nicht ständig panisch abgleichen muss, ob man sich über die richtigen Dinge amüsiert.“

Mit Passmann amüsiert man sich auf jeden Fall richtig, ihrem soziologischen Blick entgeht nichts. Ihr Autorinnen-Ich stellt sich zur Schau bis zum ironisierten Schmerz darüber, dass auch diese Generation nicht so mühelos liebt, wie ihr nachgesagt wird: „Liebeskummer ist das emotionale Äquivalent zu einem verlängerten Wochenende in Zürich, extrem teuer und am Ende den Aufwand nicht wert.“

Passmann zündelt, sie legt ihren ganz privaten Hausbrand, doch wird daraus eher unterhaltsames Feuerwerk denn verheerendes Inferno, und so ganz viel scheint am Ende auch nicht verloren. Das Buch, „eventuell eine Intervention oder eine Inventur“ führt vielleicht auch deshalb gerade die Bestsellerliste an, weil wir in der Pandemie ziemlich lange die eigenen vier Wände (und Newton-Bilder) angestarrt haben.