Essen. Die vierfache Frau: Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo präsentiert mit „Adas Raum“ ein komplexes, verwobenes und vielschichtiges Werk.
Vier Jahre ist es her, dass Sharon Dodua Otoo, in London geborene Tochter ghanaischer Eltern und heute in Berlin daheim, den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat; seither gab es eine Novelle, eine Rede, aber auch viel – Stille. Ein „Endlich!“ ist denn auch dem Debütroman der 49-Jährigen vorangestellt, der allerdings so komplex, verwoben und vielschichtig daherkommt, dass jede Seite alle Zeit der Welt wert scheint.
„Adas Raum“ ist als Titel irreführend: Wer nun an eine Frau denkt und an einen klar umrissenen Raum (eventuell, na gut, noch etwas Metaphorik dabei), der liegt sehr, sehr falsch. Fangen wir mit Ada an. Vier Frauen im Roman tragen diesen Namen: Eine Ada lebt im 15. Jahrhundert im ghanaischen Küstendorf Totope und hat gerade ein Kind verloren. Eine Ada ist Ada Lovelace, die berühmte britische Mathematikerin des 19. Jahrhunderts, die sich als verheiratete Frau mit Charles Dickens einlässt. Eine Ada ist 1945 Gefangene und Prostituierte im Nazi-Arbeitslager Dora nördlich von Nordhausen. Und eine Ada lebt im heutigen Berlin, eine junge, schwangere schwarze Frau auf Wohnungssuche, die den ganz alltäglichen Formen von Rassismus ausgesetzt ist. Zwei weiße, zwei schwarze Adas also; immer aber geht es um Selbstbestimmtheit, Selbstbehauptung.
Auch Gegenstände und Orte haben in „Adas Raum“ eine Stimme
Als wäre das Geflecht der Zeiten und Protagonistinnen nicht schon genug, lässt die Autorin ihre Adas aber gar nicht immer selbst sprechen – sondern gibt (wie schon im Bachmann-Text) auch Gegenständen, Orten eine Stimme: Einem Reisigbesen in Ghana, einem Türklopfer in London oder eben „Adas Raum“, dem Bordellzimmer in Dora-Nordhausen. Besondere Bedeutung kommt auch einem Armband zu, das der ersten Ada in Ghana gehörte und das den Weg findet zu allen folgenden Adas, bis ins Berlin der Gegenwart – am Ende ist es in einem Museumskatalog zum Thema Kolonialismus zu sehen.
Denn so rasant und schwindelerregend Sharon Dodua Otoo auch durch die Jahrhunderte wirbelt, so sehr ist sie auch eine Literatur-Aktivistin, die in der Vergangenheit immer wieder sehr konkret auf Schieflagen verwiesen hat. Wieso bestimmen Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, wer wir sind? Nicht umsonst spielt der große Sozialkritiker Charles Dickens eine Rolle, allerdings kommt auch er schlecht weg – als ein Mann, der das Talent einer Frau gar nicht zu erkennen vermag: „Seine Gewissheit, dass er mir irgendetwas Gescheites zum Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung sagen konnte, war denkbar lächerlich“, urteilt Ada Lovelace – um dem Geliebten dann, wie stets, freundlich lächelnd zuzustimmen. Was sonst sollte frau auch tun?
Sharon Dodua Otoo begeistert mit Witz und Experimentierfreude
Vielleicht ist dies das eigentlich Schwindelerregende: Die Erkenntnis, dass wir von den historischen Episoden des Romans eben nicht so weit entfernt sind, wie wir es uns gerne einreden wollen, dass all die Ungerechtigkeiten, die Grausamkeiten, bis heute in vielerlei Formen fortdauern. Es ist Sharon Dodua Otoos Verdienst, dass sie ihre Lesenden mit Witz und literarischer Experimentierfreude zur dieser Erkenntnis führt, ganz freundlich, gar mitfühlend sogar.
Sharon Dodua Otoo: Adas Raum. S. Fischer, 320 S., 22 €