Essen. Geschichten aus Sprachland: Axel Hacke entdeckt in Alltagsfehlern neue Welten. Ein Gespräch über Blamagen, Selbstironie – und einsame Lesungen.

Die Fehler der anderen, die kann man bespötteln und bekritteln. Oder man kann, wie Axel Hacke, darin eine zauberhafte Parallelwelt entdecken: Eine Welt, in der Fabelwesen wie Tinderfisch und Aschenpudel wohnen, in der „Gegrillte Rasierer“ auf den Tisch kommen und in der mit geraden und gebogenen Zahlen gerechnet wird. Mit Britta Heidemann sprach der 65-jährige Autor über das, was Sprache erst lebendig macht, über Fehlbarkeit und Erfindungsreichtum.

Herr Hacke, Ihr neues Buch weckt Fernweh: Denn viele der Fehler-Funde, die Ihre Leserinnen und Leser Ihnen seit Jahren zusenden, stammen aus Speisekarten. Zum Beispiel das Gericht mit dem rätselhaften Titel „Sie flüchten zum Gitter“…

Axel Hacke: Zufällig erscheint das Buch in einer Zeit, in der wir alle nicht verreisen können – außer ins Sprachland. Das war natürlich so nicht geplant, kann aber vielleicht gerade in diesen Tagen sehr fantasieanregend sein. „Sie flüchten zum Gitter“: Das ist italienischen Ursprungs, dahinter steckt das bekannte Gericht Scampi alla griglia, also gegrillte Scampi. Griglia, das ist der Gitterrost. Der Witz ist, dass scampare auch ein Verb ist, das heißt unter anderem eben flüchten oder auch entkommen. Die Form scampi ist die zweite Person Singular, das hieße also: du flüchtest. Lustig ist, dass die falsche Übersetzung auch noch in sich verdreht ist, das Gericht müsste heißen „Du flüchtest zum Gitter“.

Tiere nehmen ebenfalls einen gewissen Raum ein in Sprachland – woher stammt denn der titelgebende Eichelhecht?

Das hat mir jemand geschrieben, der mit seinem damals drei Jahre alten Sohn in der Zeit des ersten Lockdowns immer im Wald spazieren gegangen ist. Abends beim Zubettbringen hat er den Sohn gefragt, was war denn das Schönste heute? Und der Sohn antwortete: der Eichelhecht! Der Vater konnte das dann nicht mehr aufklären, weil der Sohn schon eingeschlafen war. Aber mir schien dieser Eichelhecht ein wunderbares Wappentier für Sprachland, eine Mischung aus Vogel und Fisch, ein Fabelwesen.

„Die ganze Klasse grölte vor Lachen, ich stand da mit rotem Kopf.“

Der Zierhund und die Tieftrinen sind dagegen Verhörer aus Liedzeilen. Unterlagen Sie selbst als Kind auch solchen Missverständnissen?

So fing das alles an! In der Grundschule mussten wir ein Lied singen, es ging um ein Schiff, das hilflos in den Wellen treibt. Da gab es die Zeile „Hat ein Ruder nicht dran“. Und ich habe beim Vorsingen aus dem Ruder einen Bruder gemacht – wahrscheinlich eine Freudsche Fehlleistung, in der sich die Wut auf meinen kleinen, ewig störenden Bruder Bahn gebrochen hat. Die ganze Klasse grölte vor Lachen, ich stand da mit rotem Kopf und war der Blamierte. Aber die Wahrheit ist doch, dass das allen passiert, dauernd, ständig – dass wir etwas missverstehen, was alle anderen offenbar verstanden haben.

Ich mag sehr den menschenfreundlichen Ansatz Ihres Buches: Anstatt Fehler zu bekritteln, schätzen Sie das „leicht Verzweifelte an diesen Patzern und Pannen“. Was genau meinen Sie damit?

Wir Menschen wollen so gerne alles richtig machen, aber wir schaffen es einfach nicht! Ich finde, Humor hat keinen Sinn, wenn er sich nur über andere lustig macht. Das kann man machen, aber es freut mich nicht wirklich. Die Leute, die ich nicht mag, die können meistens nicht über sich selbst lachen. Können Sie sich vorstellen, dass Donald Trump über sich selbst lacht, oder Wladimir Putin? Schwierig.

Dass Selbstironie Ihnen nicht fremd ist, verrät auch diese Szene im Buch: Wenn es beim Schreiben nicht recht weitergeht, laufen Sie durch Ihr Büro und rufen „Brecher die Decke! Abzichen die Laine!“ – so stand es am Notausstieg eines polnischen Zuges. Suchen Sie auf diese Weise einen Ausweg?

Ja, das ist doch wunderbar! Diese Zeilen, die am Notausstieg stehen, die kann man lesen, aber unwillkürlich möchte man sie doch am liebsten rufen. Das hat mir solchen Spaß gemacht, als ich das Hörbuch eingelesen habe. Da sieht man den hilflosen Lokomotivführer vor sich, der versucht, einen rasenden Zug zum Stehen zu bringen.

„Das Kommasterben geht einher mit der idiotischen Setzung des Apostrophs.“

Sehr ernst nehmen Sie dagegen das Verschwinden der Kommata… Ist da doch Trauer über einen Sprachverfall zu spüren bei Ihnen?

Es gibt heute ein regelrechtes Kommasterben, weil die Menschen das offenbar einfach nicht so wichtig finden und gerade in Kurznachrichten oder Emails die Kommata für verzichtbar halten. Das finde ich schade! Das Komma gehört zu den Satzzeichen, die dem Geschriebenen einen gewissen Rhythmus geben. Und manchmal ist das Komma sogar überlebensnotwendig. Da gibt es diese berühmte Geschichte eines Königs, der ein Telegramm schickt an die Wächter eines Verurteilten: „Wartet, nicht hängen!“. Nur ist im Telegramm das Komma falsch gesetzt und es lautet: „Wartet nicht, hängen!“ Kurioserweise geht das Kommasterben einher mit der völlig idiotischen Setzung des Apostrophs, der jetzt überall und an jeder Straßenecke vorkommt: dienstag‘s oder damal’s oder Anana‘s. Als ob die Kommata, die weggelassen werden, irgendwo anders untergebracht werden müssen und nach oben rutschen.

Wenn man sich einmal in Sprachland eingelebt hat, sieht man das Doppeldeutige in vermeintlich Fehlerfreiem: im Wort Personalverkauf etwa.

So etwas finde ich einfach wahnsinnig lustig! Da hat mir ein Leser geschrieben, dass er mit seinem Vater in einer Firma war, und über einem Schalter stand das Wort „Personalverkauf“. Und sein Vater hat ganz trocken gesagt: „Normalerweise werden die Leute einfach entlassen“ – und eben nicht verkauft. Das sind für mich die besten Momente in der Bearbeitung meiner Leserpost. Die Leser sind oft viel witziger als ich!

Entdecken Sie auch in der Coronakrise neue Mitglieder für Sprachland?

Diese ganze Corona-Geschichte ist wie eine Sprachfabrik, da wird ständig Sprache erzeugt. Spuckschutz oder Fußgruß, das sind ja ganz neue Wörter. Oder diese immer wieder auftretende Wendung „es droht ein zweites Ischgl“. Früher hieß es immer „Wimbledon ist das Mekka der Tennisspieler“, irgendwann hat das mal einer umgedreht und geschrieben: „Mekka ist das Wimbledon der Muslime“. Letzthin hat Robert Habeck von den Grünen den Satz gesagt „Das Erwartungsmanagement ist in den Keller gegangen“ – die Idee, dass man Erwartungen managen kann, die finde ich faszinierend. Ich notiere mir so etwas und lege es in die Schachtel neben meinem Schreibtisch.

„Die Leute schreiben oft „Liebes Team Axel Hacke“, aber da bin nur ich!“

Viele, viele Lesungen mussten Sie in der Krise absagen. Stattdessen senden Sie nun Lesungen „Aus dem Büro“. Wie sind Ihre Erfahrungen mit bezahlten Streams?

Die sind überwältigend! Kürzlich hatte wir die dritte dieser Online-Lesungen. Ich sitze hier und lese und mein Sohn und seine Freundin, die beide an der Filmhochschule studieren, die filmen das. Wir stellen das zu einer bestimmten Zeit ins Internet, dafür kann man Tickets kaufen. Zuletzt waren an die 2000 Leute dabei! Das ist eine von diesen Sachen, die man mit in die Zukunft nehmen kann, die den Menschen offenbar Spaß machen.

Macht es Ihnen denn auch Spaß?

Es ersetzt nicht die Lesung im Theater, die von den Reaktionen des Publikums lebt. Durch das Lachen und das Klatschen entstehen kurze Pausen, in denen ich überlegen kann, was ich als nächstes mache – ich habe kein festes Programm, sondern entscheide oft spontan. Dagegen ist es im Büro schon sehr still. Mein Sohn und seine Freundin müssen sich das Lachen sogar verkneifen, damit es nicht mit reinkommt. Ich muss mich wahnsinnig konzentrieren, um die Atmosphäre herzustellen, die es haben soll. Das ist sehr anstrengend.

Chatten Sie auch mit Ihrem Publikum?

Nein, das mache ich nicht. Aber der Kontakt zu meinen Lesern ist mir schon sehr wichtig. Ich versende inzwischen alle vier Wochen einen Newsletter. Und ich bekomme viele Emails, die ich alle beantworte. Im Moment benötige ich dafür so zwei, drei Stunden am Tag. Lustig ist: Die Leute schreiben oft „Liebes Team Axel Hacke“, aber da ist gar kein Team, da bin nur ich! Nach der jüngsten Lesung habe ich 50 Mails bekommen; das ist chatten, nur anders.

Alle Infos zum Buch und zu den Online-Lesungen

Das neue Buch des Kolumnisten und Autors Axel Hacke heißt „Im Bann des Eichelhechts“ und ist soeben im Kunstmann-Verlag erschienen (264 S., 22 €), das Hörbuch liest Axel Hacke selbst (ebenfalls Kunstmann, 20 €). Den Newsletter „Brief aus dem Büro“ kann man auf der Webseite www.axelhacke.de kostenlos abonnieren.

Die nächste Online-Lesung gibt es am Donnerstag, 25. März, um 19.30 Uhr, erstmals als Live-Stream. Karten (14,20 € zzgl. Vorverkaufsgebühr, Familien-/Unterstützerticket 20,80 €): auf der Seite www.adticket.de.