Gelsenkirchen. Ingrid und Rudolf Machazi sind Leselernpaten. Sie schenken Kindern Zeit mit Büchern - für Grundschulen und Eltern eine wichtige Hilfe.
Als die Machazis vor 13 Jahren in ihr Ehrenamt einstiegen, da waren sie sich nicht so sicher, ob alle Beteiligten ihren Einsatz als Segen empfinden würden. Ist das echt gut oder nur gut gemeint?: Ein Kind aus einer Klasse herauspicken, eines das ein bisschen „hinterher“ ist, das sich schwertut mit Buchstaben und Worten, dem längeren Lesen erst recht?
„Wir dachten, es käme sich vielleicht diskriminiert vor“, erinnert sich Ingrid Machazi. Das Gegenteil wurde der Fall. „Wir wurden immer wieder von anderen Kindern traurig gefragt: ,Wann darf ich denn mal mitkommen?’“ Ingrid und Rudolf Machazi sind Leselernhelfer. Also nicht etwa Vorleser sondern sie stehen (eigentlich sitzen) Pate für Kinder, die an ihrer Seite Wort für Wort Anschluss finden ans Niveau ihrer Schulkameradinnen.
Die Leselernpaten, die für „Mentor“ im Einsatz sind, bieten mehr als Nachhilfe
Das Paar, beide Ende 60, steht lächelnd bereit, wenn die Schule aus ist. Die Grundschule stellt den Raum, ohne ablenkende Kumpel, ohne Lärm. Und dann beginnt diese besondere Stunde. Wenn Rudolf Machazi „mein Lesejunge“ sagt, dann ahnt man schon, dass das hier keine spröde Nachhilfe ist, sondern eine Begegnung, die beiden Seiten etwas schenkt.
Lektüre bringen die Paten mit, lesen aber soll das Kind. Manchmal macht Rudolf Machazi eine Ausnahme: „einmal vorlesen, damit Inhalt und Phonetik schon mal verstanden sind.“ Dann aber sind Alexej oder Ayse dran, Finn oder Magdalena (alle Namen von der Redaktion geändert). „Wir greifen nur sanft ein, wenn Dinge falsch ausgesprochen oder verstanden werden“, sagt Rudolf Machazi. Sinkt die Aufmerksamkeit, gibt es es ein Spiel.
Für jedes Kind wird das passende Buch ausgesucht, mit dem es das Lesen verbessert
Auch das können – wie die Bücher – Mentor-Mitglieder (siehe Info-Kasten) leihen. Örtliche Buchhandlungen, in Gelsenkirchen etwa Junius, stützen die gute Sache mit einer eigenen Handbibliothek. „Wir stehen gern mit Rat zur Seite und helfen bei der Auswahl“, sagt Junius-Chefin Sabine Piechaczek.
Um dran zu bleiben, muss es kein Kinderkrimi sein. „Man spürt, was ankommt. Wir nehmen auch Sachbücher mit und Lexika: Bäume, Tiere. Oft sind die Deutschkenntnisse sehr gering, da hat jeder neu gelernte Begriff seinen Wert“, hat Ingrid Machazi über die Jahre gelernt und auch: „Im Grunde hilft ja jedes Wort, dem Kind in der Welt besser zurecht zu kommen.
Ein Stück besser in der Welt zurechtkommen, auch darum geht es bei „Mentor“
In der Welt zurechtkommen. Wen die Lehrerinnen und Lehrer den Paten empfehlen, der hat daheim nicht allen Rückhalt dafür. Mal liegt es an Sprachbarrieren der Eltern, mal regiert auch bei deutschen Müttern und Väter das, was Lehrerin Gabriela Witte „wenig häusliche Hilfe“ nennt. Die Schule ist es, die die Kinder auswählt, für dieses „Extra“. Frau Witte ist froh, dass es die wöchentlichen Stunden mit Leselernhelfern gibt. Menschen wie die Machazis, die schafften einfach „mehr als von der Schule geleistet werden kann“. Eine Schule wie die „Glückauf“ getaufte in Ückendorf, 80 bis 90 Prozent haben dort einen Migrationshintergrund.
„Man muss behutsam sein, gerade bei Kindern mit ausländischen Wurzeln darf man nicht die gleichen Maßstäbe anlegen“, findet Rudolf Machazi. Aus solcher Behutsamkeit spricht das Fundament, das das Ehepaar für mindestens so wichtig hält wie die Kurse, die sie beim Dachverband der Leselernhelfer gemacht haben.
Wichtig: „Loben nicht vergessen!“ - das Ehepaar Machazi motiviert seine „Lesekinder“
Was man mitbringen muss? „Ganz einfach“, sagt er, „Kinder mögen, schnell einen Draht zu ihnen finden, eine natürliche Freundlichkeit besitzen und – ganz wichtig – Loben nicht vergessen!“ Dass sie ganz nebenbei vermitteln, welche Werte man für ein gutes Leben miteinander braucht, gehört für die Machazis dazu. „Im Laufe der Zeit bauen wir das ein: „Respekt, Höflichkeit, Pünktlichkeit...“
Die Zuwendung in den Lese-Stunden, sie wird von den Kindern als Privileg empfunden. Die, die in der Menge untergehen, werden aufgewertet in einer Atmosphäre, in der kein Test lauert, in der niemand dich auslacht.
Schokoweihnachtsmänner für zwei Grundschulklassen
Und wenn es passt zwischen Kind und Pate, gibt es mehr als die Welt zwischen zwei Buchdeckeln: Mit einem Lesemädchen haben die Machazis Pizza gebacken, einem Lesejungen haben sie mit dem Besuch beim Feuerwehrfest seinen Herzenswunsch erfüllt. Weihnachten besorgen sie für alle 50 Kinder beider Klassen Schokoweihnachtsmänner. Und Bücher aus einem Sozialkaufhaus! Es soll mit dem Lesen ja auch ohne Paten weitergehen.
Abschied mit Taschentüchern. Am Ende gibt es einen Brief fürs Leben
So viel Einsatz. Da wundert es nicht, wenn die Stunde des Abschieds in der vierten Klasse emotional wird. „Da muss man schon die Tempotücher in der Tasche haben“, sagt Ingrid Machazi. Mit ihrem Mann überreicht sie den Lesekindern am Ende einen Abschiedsbrief: Wünsche für einen guten Beruf und das Leben in einem guten, einem gerechten Land, in dem die Menschen gerne zuhause sind – und in dem man sich eines Tages vielleicht gar wiedersieht.
Apropos Sehen und Wiedersehen: Corona, das sagen die beiden zum Abschied unseres Gesprächs, treffe auch sie heftig – „ der Kontakt zu den Lesekindern fehlt unglaublich. In dieser Zeit nicht helfen zu können, das ist wirklich hart.“
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DIE ORGANISATION
Unter dem Dach von Mentor e. V. sind in ganz Deutschland 99 Vereine aktiv. Aktuell werden etwa 16600 Lesekinder von 13.000 ehrenamtlichen Mentoren betreut.
Engagiert sind diese Lesepaten derzeit an stolzen 330 Orten. Wer sich als Pate oder finanzieller Unterstützer der guten Sache einbringen will, findet eine Übersicht und Kontaktmöglichkeit unter www.mentor-bundesverband.de