Essen. „Sweet Dreams“ heißt Frank Goosens Zeitreise in die Achtziger: Wir verlosen zehn Bücher – und Tickets für die Online-Buchpremiere.

Süße Träume wünschen wir uns in Pandemie-Zeiten vielleicht mehr denn je: In „Sweet Dreams“ taucht Frank Goosen (54) ab in die 80er – feiert die Buchpremiere aber ganz gegenwartsgemäß online. Mit Britta Heidemann sprach der Bochumer Autor und Kabarettist über neue virtuelle Erfahrungen und literarische Fluchten.

Herr Goosen, Sie stellen Ihr neues Buch kommende Woche per Online-Event vor. Vom Mixtape der 80er bis zum Streaming ist es aber doch ein weiter Weg, oder?

Frank Goosen: Ich bin aber, was Technik anging, immer schon mit der Zeit gegangen. Vor allem beim Thema Videos. Da habe ich alle Zwischenstadien mitgemacht. Für mich war die entscheidende Wende das zeitversetzte Fernsehen. Ich hatte schon früh einen DVD-Ram-Rekorder, da konnten wir dann den Tatort um viertel vor neun anfangen, weil die Kinder um viertel nach acht noch nicht im Bett waren. Mit Videokassetten wäre das damals nicht gegangen, da musste man abwarten, bis die Aufnahme fertig war. Ich war auch sofort dabei, als es Streaming gab und mir endlich niemand mehr vorschreiben konnte, wann ich was zu gucken hatte.

„Wichtig ist: möglichst viel Intimität und Vertrauen zwischen mir und dem Publikum“

Inzwischen sind Sie Aktiv-Streamer, mit virtuellen Lesungen in Buchhandlungen zum Beispiel. Wie fühlt sich das an?

Ich sitze bei mir im Keller, habe da einen Green Screen, und man sieht mich in der Buchhandlung, die mich eingeladen hat. Für mich ist das live, auch wenn sich das Publikum natürlich nicht ersetzen lässt. Aber die Fehler, die ich mache, sind genauso blöd, als ob ich sie live machen würde. Durch den Chat habe ich die Reaktion meines Publikums, das ist enorm wichtig: Möglichst wenig Distanz, möglichst viel Intimität und Vertrauen zwischen mir und dem Publikum. Außerdem verkauft die Buchhandlung dann signierte Bücher, die Leute können sich auch persönliche Widmungen wünschen. Der zweite Lockdown ist für die Buchhandlungen viel schlimmer als der erste. Und verständlicherweise konzentrieren sie sich eher auf die Bestseller und legen die ins Schaufenster. Weniger bekannte Autorinnen und Autoren und kleinere Verlage haben im Moment das Nachsehen.

Da sind wir bei der Show „Frank Goosen und Gäste“, richtig?

Ich habe jahrelang im Schauspielhaus hier in Bochum die Reihe „Goosens neue Bücher“ gemacht. Ich habe einfach große Lust, Kolleginnen und Kollegen zu treffen und zu sprechen. Natürlich lade ich nur Leute ein, deren Bücher ich gut finde; Literaturkritik ist nicht meine Aufgabe. Das Ganze haben wir jetzt ins „Haus Fey“ verlegt, eine dieser urigen Ruhrgebietskneipen. Kneipen sind ja Begegnungsorte, und ohnehin wäre die Hälfte der Weltliteratur ohne Alkohol kaum entstanden – also, das passt sehr gut. Die Show wird von Streamfood sehr professionell produziert, das ist eigentlich eine Fernsehsendung. Das kann man nicht mehr für umsonst anbieten.

Warum hält sich die Kostenlos-Kultur im Netz so hartnäckig?

Das Publikum war bisher daran gewöhnt, im Internet gratis beliefert zu werden. Ich spüre aber gleichzeitig eine Welle der Solidarität seitens des Publikums. Gerade kulturinteressierte Menschen zahlen durchaus für Inhalte im Netz, wenn sie damit Künstlerinnen und Künstler, die ihnen wichtig sind, unterstützen können. Und wenn sie professionell gemacht sind. Man muss neue künstlerische Mittel zum Beispiel für Livestreamlesungen finden. Einfaches Abfilmen einer Lesung in einem leeren Theater reicht nicht. In diesem Sinne können gut gemachte Livestreams auch nach der Pandemie eine Möglichkeit sein, sich mit dem Publikum auszutauschen.

„Ich wollte mit dem Buch auch meinen Lesern Ablenkung bieten, eine kleine Auszeit.“

Wie geht es Ihnen grad persönlich?

Beim ersten Lockdown war ich ziemlich nervös. Mir war schon klar, das ist nicht nach sechs Wochen vorbei. Die letzten Jahre sind bei mir allerdings gut gelaufen. Trotzdem versuche ich, vorausschauend zu sein, schließlich bin ich selbständig und habe Familie. Um mich muss man sich aber keine Sorgen machen. Wichtig ist, sich um die zu kümmern, die nicht vorsorgen konnten oder an denen die Hilfen jetzt vorbeigehen. Zum Beispiel die Theater zu unterstützen, damit sie irgendwann auch unter coronabedingten Beschränkungen Vorstellungen durchführen könne, die sich rechnen.

Und jenseits des finanziellen, wie verpacken Sie die Gegenwart?

Ich habe Sweet Dreams gemacht, weil ich in der ersten Phase der Pandemie mich nicht auf einen längeren Text konzentrieren konnte. Es ist insofern ein Corona-Buch, weil ja gar kein Corona drin vorkommen kann. Die Idee war: wir gehen alle zusammen an einen Ort, an dem wir noch jung und knusprig waren und an dem es noch keine Pandemie gab. Es war ja früher nichts besser, es gab den Sauren Regen, die atomare Bedrohung, die Arbeitslosigkeit und den Strukturwandel. Aber wir waren anders: Wir waren jung! Ich wollte gezielt Spaß haben beim Schreiben, mich ablenken – und auch meinen Lesern Ablenkung bieten, eine kleine Auszeit.

Das Buch: „Sweet Dreams“ ist Frank Goosens „Rücksturz in die Achtziger“

Bei Nicole gibt es Tee mit Wildkirsch-Geschmack, als sie die McCartney-Platte auf Kassette aufnimmt. Wildkirsche! Und: Smog-Alarm, Moonboots, Stahlarbeiter-Demos. Goosen bereist die Achtziger in kurzweiligen Texten, aus subjektiver Erinnerung wird oft kluge Gesellschaftsanalyse: „Machten wir uns an Mädchen ran, luden wir sie oft nicht ins Kino ein, sondern ins Theater. Peymanns legendäre Inszenierung von Kleists Die Hermannsschlacht habe ich bestimmt fünfmal gesehen, mit gefühlt sechs verschiedenen Frauen.“

Dies ist jenem kulturellen Aufbruch geschuldet, der die Zeche Carl in Essen und die Zeche in Bochum ermöglichte – aber nicht jede Gesellschaftsschicht erreichte, wie er in der Nachbarschaft beobachtet und kurz notiert: „An den Männern war alles Arbeit, an den Frauen alles Duldung.“ Das Ende vom Lied? Ist ebenso lakonisch: „Dann fiel die Mauer, und die Achtziger waren vorbei.“

Frank Goosen: Sweet Dreams. Kiepenheuer & Witsch, 240 S., 11 €