Essen. Christoph Sieber übernimmt die „Mitternachtsspitzen“. Ein Gespräch über das Ruhrgebiet als Wahlheimat, Pantomime und die Kunst des Provozierens.

Christoph Sieber, 1970 im schwäbischen Balingen geboren, hat keine Angst vor großen Fußstapfen: Er übernimmt die „Mitternachtsspitzen“, nachdem Jürgen Becker, Wilfried Schmickler und Uwe Lyko ihren Rückzug aus dem Kabarett-Flaggschiff des WDR angetreten haben. Am 6. Februar um 21.45 Uhr läuft die erste von ihm moderierte Sendung. Jens Dirksen sprach mit Sieber über Heimat, Kabarett und Merkel-Kostüme.

Sie sind vertraut mit dem Ruhrgebiet, weil Sie an der Folkwang-Hochschule studiert haben.

Christoph Sieber: Ich wurde sogar schon als „Essener Kabarettist“ bezeichnet, mehrfach! Da hat sich meine ehemalige Vermieterin in Essen immer totgelacht. Ich hab in Werden studiert und bin da auch noch mehrere Jahre hängengeblieben. Im Ruhrgebiet und jetzt in Köln habe ich zusammengenommen die längste Zeit meines Lebens verbracht.

Und zu welchem Urteil kommen Sie da übers Ruhrgebiet?

(lacht herzlich) Ich konnte es mir aussuchen, hier zu leben. Wenn du gebürtiger Ruhrgebietler bist, dann hast du ja keine andere Wahl. Ich dagegen könnte ja weg. Man kann über Köln viel sagen, aber nicht, dass es eine schöne Stadt wäre. Ich habe mir diese Heimat ausgesucht, weil ich den Menschenschlag mag.

Vielleicht sind Menschen an weniger schönen Orten sogar herzlicher, offener, direkter, weil sie sich und anderen das Leben gegen die Kulisse angenehm machen wollen.

Und vielleicht haben die Ruhrgebietler und die Kölner auch gemerkt: Es bewährt sich, wenn man nett und herzlich ist zu anderen Menschen. Im Schwäbischen ist man erst mal skeptisch und sagt: Der soll sich erst mal bewähren. Und das dauert dann Jahre. Im Ruhrgebiet dauert es wenige Sekunden. Auch wenn man gar nicht will. Ich bin eigentlich gar nicht so ein geselliger Typ.

Sie haben an der Folkwang-Hochschule aber Pantomime gelernt — wie kommt man denn von der totalen Wortlosigkeit zum pointensprudelnden Kabarett?

Ich konnte allerdings auch schon während des Studiums den Sabbel nicht halten. Das war schon immer ein großer Kampf mit den Professoren, weil ich gesagt habe: „Das könnte ich jetzt doch einfach mal sagen, dann muss ich nicht 15 Minuten mit Ganzkörpertrikot und weißem Gesicht irgendwas darstellen.“ Aber ich habe eine fundierte Ausbildung bekommen; was ich an der Folkwang-Hochschule gelernt habe, ist: eine Geschichte zu erzählen. Das ist mit Worten eigentlich nichts anderes als ohne Worte.

Und als dann das Angebot vom WDR kam?

Habe ich gleich Jürgen Becker und Wilfried Schmickler angerufen und gefragt: Ist es Euch recht, wenn ich das mache? Und wenn die beiden „Nee“ gesagt hätten, hätte ich’s nicht gemacht. Sie haben ja auch kein schlechtes Wort über das Ganze verloren, das ist ja ihr Baby, das haben sie fast dreißig Jahre gemacht.

Die Kabarettisten Tobias Mann und Christoph Sieber haben gemeinsam die Show „Mann, Sieber!“ bestritten.
Die Kabarettisten Tobias Mann und Christoph Sieber haben gemeinsam die Show „Mann, Sieber!“ bestritten. © ZDF und Marcel Kanehl, AlpenblicK

Ist das auch Ihr Plan?

(lacht) Nein, ich kann jetzt schon ankündigen: So lange wird es bei mir nicht. Weil ich dann auch schon 80 bin. Mir kam es aber darauf an, dass das Format weitergeführt wird, es ist ja in der Landschaft der Kabarett-Sendungen ein ganz besonderes Juwel, weil Gäste auftreten und es, normalerweise – außerhalb Coronazeiten, eine Live-Bühnensituation ist, die auch wirklich durch das Publikum im Wartesaal am Dom lebt. Das fehlt momentan, aber ich hoffe, dass wir bald diesen Hexenkessel da wieder haben.

Das Gerüst der Sendung bleibt?

Ja, das sind die Säulen: Der Wartesaal, die Gäste, das hoffentlich bald wieder zulässige Publikum und dass live gespielt wird. Allerdings, das kann ich jetzt schon ankündigen: Die „Überschätzten Paare der Weltgeschichte“ wird es nicht mehr geben, ich werde mich da nicht im Merkel-Kostüm......

Och!

Na gut: Außer die Quote ist bis zum Sommer so schlecht, dass ich mich gezwungen sehe (lacht anhaltend). Aber natürlich wird die Sendung auch einen Neuanstrich bekommen. Mir ist aber wichtig, dass die Volksnähe erhalten bleibt, das ist ja keine elitäre Sendung. Da wird es natürlich zwischendurch immer Schenkelklopfer geben, ich hab keine Angst vor dem Humbug.

Aber Sie sind auch ein dezidiert politischer Kabarettist. Politisiert es mehr als üblich, wenn man wie Sie als Kind eines Bürgermeisters aufwächst?

Oder auch nicht. Es desillusioniert. Man hat die Innenansicht von Lokalpolitik, man weiß auch, was Bürgermeister so leisten und leiden. Mein Vater war allerdings sehr überzeugt von seinen Ideen, ein tiefschwarzer CDUler. Und der eine oder andere linke Gedanke, der da aufkam, manche Fragen wurden jetzt nicht gerade mit „Herzlich willkommen, ich freu mich“ begrüßt, da wurde schon öfter auf den Tisch geklopft und gesagt, „Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch...“

Kabarettistische Frühausbildung?

Ja, ich habe da auch den Reiz am Provozieren kennengelernt, Vater ist schnell in Rage zu bringen. Mit 16, 17 erfreut man sich an solchen Reaktionen, wenn man merkt, damit kann man sich den Alltag versüßen. Und das ist geblieben. Heute ist es meine Arbeit.

Konfrontation ist identitätsstiftend, an der gegensätzlichen Meinung kann man sich ja auch die eigene erarbeiten.

Da sind wir mitten in der momentanen gesellschaftlichen Debatte. Die rinnt uns gerade durch die Finger, weil es nur noch heißt „Ich möchte recht haben“ und es gar nicht mehr darum geht, mal zuzuhören und zu gucken: Was meint eigentlich der andere? Vielleicht schärft so etwas meine eigene Position, vielleicht stellt es sie aber auch in Frage. Das ist ja auch eine Aufgabe von Kabarett: Immer wieder das Weltbild in Frage zu stellen.