Essen. “Sprich mit mir“ heißt der neue Roman von T.C. Boyle: Der US-Schriftsteller erzählt vom Sprachexperiment mit Schimpansen in den 70ern.

Das ist so typisch T.C. Boyle: Anstatt einfach das Jahr zu nennen, lässt er seine Protagonistin Talking Heads hören, „das neue Album mit der bassbetonten Coverversion von Take Me To The River“. 1978 also, und Kalifornien: Hier sieht die schüchterne Studentin Aimee eine Show mit einem „sprechenden“ Affen – und schon bald wird dieser Affe, Sam, die wichtigste Person in ihrem Leben.

Denn genau darum geht es: Einmal mehr schlägt sich der amerikanische Star-Autor auf die Seite der vom Menschen ausgebeuteten, missachteten Tier- und Pflanzenwelt unseres Planeten, einmal mehr zeigt er die dramatischen Folgen menschlicher Eingriffe in natürliche Entwicklungen. Sam also lebt im Haus von Professor Schermerhorn, dessen Assistentin (und bald auch Geliebte) Aimee wird. Sam mag Pizza und Burger und trinkt abends gerne ein Glas Wein. Morgens lernt er: Mittels Fingeralphabet kann er Wörter buchstabieren: „EIS. SAM.“ zum Beispiel. Und, das ist das erstaunlichste – er kann Witze machen. Wenn er ausbüchst, was trotz Stahltüren und Dreifach-Schlössern und Panzerglas-Fenstern im Haus des Professors durchaus vorkommt, dann schaut er keck durchs Küchenfenster und buchstabiert: „SPIEL MIT MIR. VERSTECKEN.“

Zwischen Studentin Aimee und Affe Sam entsteht ein enges Band

Als Aimee sich für ihren Studentenjob vorstellt, ist es Liebe auf den ersten Blick: Sam springt auf ihren Arm und will gar nicht mehr loslassen. Die Hilfskraft vor ihr hat er gebissen – das Problem dieser Art von Sprach-Studien ist, dass die Studienobjekte nach zwei, drei Jahren deutlich stärker sind als ihre Lehrer. Aimee aber hat leichtes Spiel mit ihm, ihr vertraut er. Im Hintergrund aber lauert die eigentliche Gefahr, namentlich Professor Montcrief. Er betreibt in Iowa das Primaten-Forschungszentrum, er hat Sam „ausgeliehen“ für die Sprachforschungen Schermerhorns – was aber, wenn die Fördergelder ausbleiben?

T.C. Boyle ist schon mehrfach in die Welt verrückter Professoren eingetaucht, die mit ihren Studien die Natur (des Menschen) zu erkunden suchten: Ob es um Sex-Forscher Kinsey ging oder um LSD-Guru Leary, stets interessierte ihn das Gefüge der Gruppe und der Moment, in dem aus etwas Gutem etwas nicht mehr so Gutes wurde. In diesem Fall betrifft das Nicht-so-Gute Sam: Er kommt in den Käfig, zu nichts-sprechenden, nicht-gebärdenden Artgenossen; allen droht die Verwendung als Versuchtiere – nun nicht mehr für linguistische, sondern medizinische Zwecke. Was folgt, ist eine etwas absehbare Räuber-und-Gendarm-Story, in der die moralisch integre Aimee ihren Schützling zunächst rettet, letztlich aber doch allein auf verlorenem Posten steht.

T.C. Boyles Roman gründet auf realen Begebenheiten

Auch wenn T.C. Boyle diesmal nicht einen einzelnen realen Forscher porträtiert, gründet sein Roman auf einer wichtigen Episode der Wissenschaft. Seit den 60er Jahren hatten Sprachforscher mit Primaten geforscht, so konnte Schimpansin Washoe, die beim amerikanischen Forscherpaar Gardner lebte, über 130 Begriffe gebärden. Doch dann kippte die Stimmung: Noam Chomsky hatte einst die Regel aufgestellt, nur das menschliche Gehirn sei zur Sprachbildung fähig. Bald stützten viele Forscher die These, die „sprechenden“ Tiere reagierten nur auf Impulse ihrer Lehrer. Auch der in Iowa lebende Moncrief hat möglicherweise ein reales Vorbild im Psychologieprofessor William Lemmon, der in Oklahoma zwei dutzend Schimpansen hielt – und für den häufigen Einsatz von Elektroschock-Knüppeln berüchtigt war.

Was tut der Mensch den Tieren nur an? Boyles Roman endet mit einem erschütternden Bild, das lange im Kopf bleibt: Zwei Affen sitzen alleine im Käfig und „unterhalten“ sich in Gebärdensprache, nur ist niemand mehr da, der sich Notizen macht oder Videos, niemand mehr, der sich interessiert.

T.C. Boyle: Sprich mit mir. Hanser, 352 S., 25 €